30 Jahre Deutsche TV-Plattform

Interview mit Geschäftsführerin Carine Chardon

FKT Magazin 12/2020
Trends

Drei Jahrzehnte rasanter medientechnologischer Entwicklungen hat die Deutsche TV-Plattform mitgestaltet – der Verein versteht sich als Koordinator unterschiedlicher Interessen, als Drehscheibe für Informationen und als neutraler Aufklärer für die Öffentlichkeit. Bei der Gründung im Jahr 1990 (noch unter dem Namen „Nationale HDTV-Plattform Deutschland“) zeichnete sich die „digitale Revolution in der Bewegtbild-Technik“ bereits ab, wie Geschäftsführerin Carine Chardon im Interview in Erinnerung ruft. FKT hatte Gelegenheit, mit ihr über die Anfänge sowie über aktuelle und künftige Aufgaben zu sprechen.

Frau Chardon, die Deutsche TV-Plattform feiert in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Warum kam es 1990 zur Gründung des Vereins?
Carine Chardon:
Der Verein wurde ursprünglich als „Nationale HDTV-Plattform Deutschland“ gegründet, um die Markteinführung von HDTV nach dem im Rahmen des europäischen Forschungsprojektes Eureka 95 entwickelten 1250/50-Standards auf breiter Ebene zu koordinieren und zu unterstützen. Die europäische Industrie, Bundesministerien, Europäische Kommission, Forschungseinrichtungen sowie TV-Sender und Netzbetreiber reagierten damit auf japanische Versuche, einen weltweit einheitlichen 1125/60-Standard zu etablieren.
Das war ein ambitioniertes Unterfangen. Damals standen in den TV-Haushalten nur analoge Röhrenfernseher, aber die digitale Revolution in der Bewegtbild-Technik zeichnete sich bereits ab. Deswegen wurde das aus dem Eureka-Projekt stammende analoge Projekt „HD Mac“ rasch beerdigt und der Verein konzentrierte sich fortan auf die Digitalisierung des Fernsehens. Und da gab es viel zu tun! Es wurden Arbeitsgruppen gegründet, Strategien ausgeheckt, Kompendien verfasst und Events und Symposien durchgeführt. Und Szenarien, wie sich der Übergang von analog zu digital möglichst elegant vollziehen könnte. Im Prinzip ist das heute noch so, nur haben sich die Themen und Bühnen gewandelt.

Die Plattform versteht sich als „einzigartigen Zusammenschluss“ verschiedener Akteure im Medienbereich. Was ist das Besondere Ihrer Interessensvertretung?
Carine Chardon:
Unsere Mitgliederstruktur bildet die gesamte Wertschöpfungskette der Branche ab, vom Sender über Infrastrukturbetreiber und Hersteller bis zu Forschung, Bundes- und Landesbehörden. Wir können daher wie keine andere Institution in Deutschland Experten und Entscheider aus allen Bereichen zu den relevanten Branchenthemen zusammenbringen und so signifikanten Mehrwert für unsere Mitglieder und den Markt schaffen.

An welchen Entwicklungen war die Deutsche TV-Plattform in den vergangenen drei Jahrzehnten entscheidend beteiligt?
Carine Chardon:
Nach außen hin am sichtbarsten waren sicher die Meilensteine entlang der Digitalisierung der Verbreitungswege und Einführung neuer TV-Technologien und Standards. Ob Digitalisierung der Verbreitungswege Kabel und Satellit, HDTV, HbbTV, DVB-T und DVB-T2 HD und Ultra HD: wann immer in den letzten 30 Jahren eine neue Medientechnologie entwickelt und eingeführt wurde, hat die Deutsche TV-Plattform unterstützt, indem sie verschiedene Interessenslagen koordiniert, als Drehscheibe für Informationen fungiert und die Öffentlichkeit neutral und umfassend aufgeklärt hat. Es gab aber auch wichtige Projekte, die unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit gelaufen sind – oder aktuell noch laufen, wie unsere UHD-Plugfest-Reihe. Die Geburtsstunde dazu war übrigens die IFA 2014. Ultra HD war damals das zentrale Thema unseres Messestands. Die Kollegen hatten ihre liebe Not und Mühe, die verschiedenen Geräte miteinander so zu verbinden, dass ein UHD-Bild zu sehen war… Aus dieser „Grenzerfahrung“ wurde die Idee geboren, Events für herstellerübergreifende Geräte-Tests zu kreieren, um bereits in der Entwicklungsphase UHD-Geräte auf Interoperabilität und korrekte Implementierung neuer Features abzuklopfen. Daraus ist schnell eine europäische Initiative entstanden, die bis heute Bestand hat, und Herstellern, Infrastrukturanbietern und Diensteanbietern bei der Entwicklung hilft– was am Ende auch den Zuschauern zugute kommt.

Die digitalen elektronischen Medien haben sich in den vergangenen 30 Jahren rasant entwickelt. Woran machen Sie das fest?
Carine Chardon:
Ich denke, das kann man in drei Phasen einteilen. Die erste war die Ablösung der analogen TV-Verbreitung durch das digitale Fernsehen, wodurch das Programmangebot enorm zugenommen hat. Den Auftakt dazu machte die Einführung von DVB-Tin den Jahren 2003 bis 2008. Im Großen und Ganzen war mit Ende der analogen Satellitenverbreitung im April 2012 digitales TV in Deutschland etabliert, auch wenn es im Kabel noch ein wenig gedauert hat, bis der Umstieg komplett vollzogen wurde – die Netze waren aber natürlich schon längst vorher digitalisiert. Die zweite Phase war die Einführung von HDTV, wo Ende 2009 / Anfang 2010 mit dem Start der großen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendergruppen endlich den Durchbruch eingeläutet wurde – die DTVP unterhielt ja bereits seit 2004 eine Arbeitsgruppe HDTV.
Mit HDTV wurden die Fernsehbilder zu besseren Bildern, und durch Ultra HD und HDR gilt das heute umso mehr. Die dritte Phase, die vor wenigen Jahren begonnen hat, beschäftigt uns derzeit wohl mit am meisten: die Verbreitung von Inhalten und Diensten über das Internet. Von der Einführung des IPTV-Fernsehens bis zur Massenverbreitung von Smart-TV, die „Over The Top“ Bewegtbild-Apps empfangen: die DTVP begleitet diese Entwicklung seit über einer Dekade. Entlang dieser Zeitlinien gab es natürlich auch noch andere wichtige Themen, denen sich die Deutsche TV-Plattform intensiv gewidmet hat – etwa HbbTV. Was zunächst als „moderner Teletext“ gestartet war, ist inzwischen eine der Kerntechnologien für die Interaktivität von Broadcast Diensten – von Barrierefreiheit bis Targeted Advertising bietet HbbTV den Sendern zahlreiche Möglichkeiten. Der klassische Teletext existiert indes noch (!) weiter…

Ziel des Vereins ist die Einführung digitaler Technologien auf Grundlage offener Standards. Warum ist das entscheidend?
Carine Chardon:
Standards bieten die notwendige Grundlage, um Märkte schnell wachsen zu lassen und Interoperabilität zu gewährleisten – der DVB-Standardfamilie etwa ist wortwörtlich das digitale Fernsehen zu verdanken.

Über die Jahre haben sich die Arbeitsgruppen der Deutschen TV-Plattform dynamisch an die Veränderungen in der Medienwelt angepasst. Woran arbeiten aktuell die Arbeitsgruppen Media over IP, Smart Media und Ultra HD?
Carine Chardon:
In erster Linie an Projekten, die wie die UHD-Plugfest-Reihe zunächst im Maschinenraum der Branche stattfinden, um den Zuschauern an Deck ein besseres und komfortableres TV-Erlebnis zu ermöglichen. Bei unserem Dauerbrenner Ultra HD beschäftigen wir uns derzeit intensiv mit dem Thema HDR. Das Ziel ist hier, ein optimales HDR-Erlebnis beim Kunden zu erzielen. Dazu erarbeiten wir Empfehlungen für die Produktion und den Transport von HDR-Signalen über die gesamte Produktions-/Verteilungskette bis hin zum Endgerät. Außerdem beleuchten wir in diesem Kontext die Vor- und Nachteile der verschiedenen HDR-Spezifikationen.
Ferner haben wir CI Plus 2.0 auf dem Radar und diskutieren die Chancen und Herausforderungen einer Markteinführung der neuen Version der CI-Plus-Schnittstelle. Damit würde sich der Formfaktor der Schnittstelle ändern, die dann nicht mehr auf dem PCMCIA-Slot, sondern auf USB basiert. Daraus ergäben sich für die Marktbeteiligten und Konsumenten eine Reihe von Vorteilen, allerdings würde ein Umstieg auf CI Plus 2.0 auch größere logistische und kommunikative Anstrengungen erfordern und muss wohl überlegt sein. Deswegen wollen wir Anfang 2021 einen erweiterten Kreis aus den relevanten Unternehmen und Stakeholdern aus der DACH-Region zusammenbringen, die sich mit einer möglichen Einführung von CI Plus 2.0 befassen.
Ein gutes Stück weiter sind wir bereits beim Thema Metadaten für die Content-Distribution. Dazu zählen etwa Trailer, Bilder oder Texte, die uns Zuschauern den Weg zum Wunschprogramm weisen. Kreation, Pflege und korrekte Darstellung dieser Metadaten sind aber für Inhalteanbieter, Dienstleister und EPG-Betreiber durch die Vielzahl der Video-Plattformen eine große Herausforderung. Das führt dann beispielsweise zu abgeschnittenen Textbeschreibungen bei Serien oder Filmen, über die wir uns alle schon einmal gewundert haben. Um solche Reibungsverluste bei der Ausspielung von Metadaten zu minimieren, benötigt man ein übergreifendes Verständnis in der Branche. Genau dafür hat die Deutsche TV-Plattform ein „Basis-Set Metadaten“ erarbeitet. Es enthält von Beschreibungen über Publikationswege bis hin zu technischen Angaben umfassende und anschauliche Hinweise für die Pflege und das Vorhalten von Metadaten für die Distribution, und zwar sowohl für lineare als auch für non-lineare Verbreitung. Mit dem Basis-Set ist die Arbeit aber noch nicht abgeschlossen. Als nächstes widmen wir uns den Themen Tagging und Steuerungsdaten.

Mit der Schließung des Instituts für Rundfunktechnik (IRT) zum Jahresende 2020 entsteht eine große Lücke in der deutschsprachigen Medientechnik-Branche. Inwiefern kann die Deutsche TV-Plattform vor diesem Hintergrund – möglicherweise auch in Kooperation mit Vereinen wieder FKTG – zusätzliche Aufgaben übernehmen, etwa um als Interessensvertreter zu agieren oder bei Standardisierungsfragen noch intensiver mitzuwirken?
Carine Chardon:
Die Schließung des IRT ist ein großer Verlust für unsere Branche. Der außerordentliche Sachverstand und das große Engagement der IRT-Mitarbeiter hat auch eine Stückweit die Deutsche TV-Plattform mitgetragen. Angesichts der interessensübergreifenden Struktur der Plattform ist es grundsätzlich denkbar, dass wir in Zukunft die ein oder andere kleinere Aufgabe des IRT übernehmen.

Ein Ausblick: Welche Herausforderungen sind darüber hinaus in den kommenden Jahren zu meistern?
Carine Chardon:
Aktuell sicherlich trotz Corona-Pandemie und Umzug aller Aktivitäten in die digitale Domäne unsere Sichtbarkeit zu bewahren, die Themen und Projekte voranzutreiben, um unsere Mitgliedsunternehmen bestmöglich zu unterstützen. Perspektivisch gibt es einige Themen und Trends, um die wir uns kümmern werden. Dazu gehören neben der Bildqualität die Frage der Leistungsfähigkeit der Internet-Infrastruktur für die schnell wachsende Anzahl an Streaming-Nutzern, die Nutzung von KI in den Medien, das große Feld von Addressable TV und personalisierten TV-Diensten. Auch das Thema Cloud ist für viele unsere Mitglieder in ihren Herstellungs- und Vertriebsprozessen von steigender Relevanz.

Frau Chardon, vielen Dank für das Gespräch.

https://tv-plattform.de/