Um neue Anwendungen für eine agile 5G-Medienproduktion zu konzipieren und zu testen,
betreibt Media Broadcast in Nauen bei Berlin ein hauseigenes 5G-Campusnetz. Nachdem das
Unternehmen bereits erste Projekte in der Praxis umgesetzt hat, unterstützt der Netzbetreiber nun auch 5G-VIRTUOSA, ein EU-Forschungsprojekt aus dem Förderprogramm Horizon 2020.
Für den Betrieb des 5G-Campusnetzes stehen Media Broadcast in Nauen 100 MHz Bandbreite im 3,7 bis 3,8 GHz-Frequenzspektrum für zehn Jahre zur Verfügung. „Schaltzentrale“ des privaten 5G-Netzes ist die so genannte 5G Blue Box, in der sowohl die Core Net-Komponenten als auch die Steuereinheiten für das Radio Access Network (RAN) untergebracht sind. Mit dem portablen Rack kann in Verbindung mit einer 5G-Antenne innerhalb kurzer Zeit ein 5G-Campusnetz in einem lizensierten Frequenzbereich errichtet werden. Dies gilt in Verbindung mit einer entsprechenden Frequenzzuteilung auch für „nomadische Anwendungen“ an wechselnden Orten im gesamten Bundesgebiet.
5G-Kernnetz
Das 5G-Kernnetz, der „Open5GCore“, ist eine Lösung vom Fraunhofer-Institut FOKUS. Der „Open5GCore“ ist vollständig kompatibel mit dem 3GPP-Standard. Ein wesentliches Merkmal dieser Lösung ist die Interoperabilität für ein „reibungsloses Zusammenspiel mit Komponenten unterschiedlicher Hersteller“, heißt es. So soll eine Abhängigkeit von einzelnen Unternehmen vermieden werden, was insbesondere für Medienunternehmen und andere Betreiber kritischer Infrastrukturen von großer Bedeutung ist. Darüber soll die Software-basierte Lösung die Voraussetzung für individualisierte Anwendungsfälle bieten, heißt es bei dem Netzbetreiber.
Das Radio Access Network (RAN) im Testfeld ist eine davon unabhängige Lösung. Es bildet die Verbindung zwischen den verschiedenen Endgeräten und dem 5G Core Net. In Nauen sind innerhalb des Sendergebäudes und auf einem davor liegenden Freigelände mehrere Basisstationen mit Antennen aufgebaut, die das Areal um den beeindruckenden, 1920 errichteten Muthesiusbau mit 5G-Signalen versorgen.
Erster Anwendungsfall
Zu Jahresbeginn 2021 hatte Media Broadcast gemeinsam mit LiveU erstmals den Anwendungsfall einer vollständigen TV-Produktionskette erprobt: In dem Use Case hat das Unternehmen eine professionelle HD-Kamera via HD-SDI an die tragbare LU800-Sendeeinheit von LiveU angeschlossen. Insgesamt ist der Anschluss von bis zu vier Kameras an das Gerät möglich, damit kann eine TV-Produktion mit bis zu vier vollkommen synchronen Feeds in HD- oder sogar 4K-Qualität übertragen werden. Das Gerät lässt sich dabei bequem in einem Rucksack transportieren.
Ausgestattet mit mehreren 5G-Modems, übermittelte die Sendeeinheit das Kamerasignal in das Standalone-Campusnetz. Via Internet übertrug Media Broadcast die Feeds zum firmeneigenen Entwicklungsstandort in Berlin, wo sie über einen Video-Server von LiveU empfangen, geprüft und per HD-SDI zur weiteren Verarbeitung verfügbar gemacht wurden. Über LiveU Central, das webbasierte Video-Management-System von LiveU, konnte von dort auch auf das Gerät zugegriffen und dieses ferngesteuert werden.
5G-Campusnetz im EM-Quartier
Nach diesem ersten Testlauf folgte im Frühsommer die Praxis-Premiere: Als „weltweit erstmalige TV-Übertragung über ein privates 5G-Netz“ verantworteten die beiden Partner während der Fußball-EM die Übertragung aus dem EM-Quartier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Herzogenaurach.
Innerhalb von 48 Stunden nahm Media Broadcast die 5G Blue Box im fränkischen Mannschaftslager in Betrieb. Die Installation umfasste ein 5G-Kernnetz, eine 5G-Basisstation sowie eine Außenantenne zur Netzabdeckung des Geländes. Verbunden war das 5G-Campusnetz über eine Gigabit-Verbindung an den nahegelegenen glasfaserbasierten Backbone des Unternehmens. Von dort aus gelang das Signal binnen weniger Millisekunden zur Innenproduktion nach Ismaning, bevor es hochauflösend an TV-Haushalte innerhalb Deutschlands ausgesendet wurde.
Bei der Europameisterschaft wurden die Fernsehsignale über die LiveU-Sendeeinheit LU800 in hochauflösender Qualität in 1080p übertragen. Die TV-Kamera war dabei an die LiveU-Sendeeinheit gekoppelt. Hier fanden die Umsetzung und die Übertragung in das 5G-Netz von Media Broadcast statt und es dauerte dem Unternehmen zufolge „nur wenige Millisekunden“, bis das Signal am Bestimmungsort in Ismaning ankam. Im Leistungsumfang von Media Broadcast war auch die Beantragung der erforderlichen Frequenz sowie die Planung und Durchführung der optimalen Ausleuchtung des Areals enthalten.
Weitere Szenarien
Aktuell befasst sich Media Broadcast mit mehreren weiteren Szenarien für 5G-Campuslösungen, die Unternehmenschef Arnold Stender und 5G-Projektleiter Daniel Wolbers auf einer Presseveranstaltung vor Ort in Nauen vorstellten. Demnach sind etwa in der Sportberichterstattung völlig neue Perspektiven zu erwarten. Künftig könnten drahtlose Kameras beispielsweise von der Eckfahne eines Fußballfeldes hochauflösende Bilder über das 5G-Campusnetz transportieren und den Zuschauer somit virtuell in das Geschehen direkt eintauchen lassen. Dieses Anwendungsfeld ist nicht auf Live-Sport begrenzt, auch bei anderen Veranstaltungen – Konzerte, Messen etc. – bieten sich derartige 5G-Lösungen an.
Drahtlose Broadcast-Kameras, die über 5G angebunden sind, ermöglichen zudem eine noch flexiblere, professionelle TV-Produktion – mit 20-facher Kapazität im Vergleich zu heutigen Drahtloskameras. Als Anwendungsfälle nennt das Unternehmen hierbei Indoor- und Outdoor-Produktionen in HD und UHD.
Darüber hinaus ermöglichen Drohnen spektakuläre Aufnahmen via 5G – über ein Funkspektrum, das mehrere hundert Megabit zulässt. Neben Luftaufnahmen, die in Echtzeit in das TV-Programm einfließen können, sind solche hochauflösende Live-Bilder auch für andere Branchen relevant – etwa mit Blick auf die Koordination von Rettungsmaßnahmen in Katastrophenfällen.
Unterstützung von 5G VIRTUOSA
Mit der gewonnenen Expertise zu 5G-Campusnetzen sowie der Bereitstellung und Integration von 5G-Technikkomponenten wird Media Broadcast zukünftig 5G-
VIRTUOSA, ein EU-Forschungsprojekt aus dem Förderprogramm Horizon 2020, unterstützen.
Ziel des Projektes ist es, die TV-Produktion von Live-Inhalten (wie beispielsweise Sport- oder Kulturveranstaltungen) wesentlich effizienter als bisher – auch standortübergreifend – zu ermöglichen. Basis dafür ist eine Kombination von 5G mit ALL-IP-Netzen und Virtualisierungskonzepten, die den TV-Sendern und Rechteinhabern neue Produktionsweisen bieten soll.
5G-basierte Remote-Produktionen
Aktuell befindet sich das Projekt in Phase 2, in der eine standortübergreifende, ALL-IP-basierte Vernetzung von TV-Studios demonstriert wird. In der letzten und finalen Phase 3, die Anfang 2022 startet, möchten die drei beteiligten Projektpartner Nevion (Norwegen), Mellanox Technologies (Israel) und LOGIC media solutions (Deutschland) gemeinsam mit der Unterstützung von Media Broadcast 5G-basierte Remote Production-Lösungen präsentieren. Dabei werden die Kameras in der Produktion ihre Signale hochauflösend und drahtlos über die 5G-Campusinfrastrukturen von Media Broadcast übertragen. Somit wird erstmals eine All-IP-basierte Übertragung im SMPTE 2110 Standard mit der Performance eines 5G-Campusnetzes verknüpft, was neben der zusätzlichen Flexibilität in TV-Studios und vor Ort auch neue Kameraperspektiven in „nie da gewesener Qualität“ bei der drahtlosen Übertragung von Kamerasignalen ermöglichen soll.