Vom 19. bis 22. Juni 2017 stand Barcelona erneut im Zentrum der europäischen Kinobranche. Die Cine Europe und das begleitende ICTA-Technikseminar brachten dabei neben thematischen Dauerbrennern wie Immersive Audio, HDR/HFR und Laserprojektion auch Themen wie VR und AR im Kino, den Einsatz „aktiver Bildwände“ und die Budgetierung von technologischen Innovationen im Kinobetrieb aufs Tablett.
Ein Kino ohne Leinwand und Projektor? Ein für eingefleische Cineasten sicherlich gewöhnungsbedürftiges Szenario. Ob mattweiß oder silber, perforiert oder unperforiert, gekrümmt oder gerade: Auch wenn aus der Leinwand längst eine Bildwand geworden ist, die nicht mehr aus Stoff besteht, ist doch für viele das- Zusammenspiel von Projektionsstrahl, der auf Bildwandtuch trifft, seit Jahren eben das, was Kino ausmacht.
Die Zukunftsvision einiger Hersteller sieht anders aus, das ergab zumindest der Beitrag „Active Cinema Screens – the End of Projectors?“ im Rahmen des ICTA-Technikseminars. Demnach soll künftig eine Kombination aus modernen LED-Panels beides auf lange Sicht überflüssig machen. Erste Entwicklungen in dieser Hinsicht zeichnen sich ab; wie die konkrete Umsetzung in Produkte aussieht, dürfte allerdings frühestens im Laufe des nächsten Jahres feststehen.
Frischer Wind für die Branche, die in den vergangenen Jahren häufig um die immer gleichen Themen wie 3D Audio oder Laserprojektion kreiste. Diese sind natürlich längst nicht vom Tisch, doch der Blickwinkel im CCIB-Konferenzzentrum zeigte sich in diesem Jahr verändert. So rückte erstmals auch das Thema Virtual und Augmented Reality stärker in den Fokus, mit eigenem Demo-Kiosk, der den Besuchern einen Vorgeschmack auf mögliche Anwendungen im Kino geben sollte.
Ergänzt dazu wurde das Thema auch in der Diskussionsrunde „Virtual Reality – Killer App or Companion Experience“ aufgregriffen. Die Meinungen hierzu sind gespalten – zu sehr ist bei vielen noch der gescheiterte Versuch, Gaming und Kino miteinander zu verbinden, der vor einigen Jahren auch die Kinos in Deutschland erfasste, in den Köpfen verankert. Als Attraktion im Foyer, zum Beispiel mit auf aktuelle Kinofilme abgestimmten Programm, wäre ein Einsatz von VR denkbar; eine Variante mit der sich sicher auch die Skeptiker anfreunden könnten. Als eigenständige Applikation momentan noch nicht.
Ein Problem hierbei ist sicherlich noch der fehlende Kino-Content und die teils recht unterschiedlichen Qualitäten, die Nutzer derzeit am Markt vorfinden und als Maßstab nehmen. Technische Entwickler und „Virtual Storyteller“ sind gefordert, der Branche die Einsatzmöglichkeiten von qualitativ hochwertigen VR- und AR-Anwendungen schmackhaft zu machen und so einen neuen Markt zu erschließen.
Zu den nicht mehr ganz so neuen Themen gehörte die Diskussion um HDR, die im Panel „HDR – the Next Big Thing or Just Another Hype?“ unter verschiedenen Gesichtspunkten aufgegriffen wurde. Zwar existieren mit Dolby Vision und Eclair Color bereits zwei Ansätze, wie HDR auf die Kinoleinwand zu bekommen ist, jedoch beklagen Kinobetreiber und Technikhersteller gleichermaßen die bislang fehlende Standardisierung. Angesichts der schnell fortschreitenden Entwicklungen im TV-Markt, wo bereits zahlreiche modernen Geräte „HDR-ready“ sind, haben die Kinobetreiber derzeit das Nachsehen. Dennoch zeigen die beiden vorgenannten Lösungen, dass ein erfolgreicher Einsatz von HDR im Kino möglich ist.
Im Zuge der HDR/HFR-Diskussionen kam auch das Thema Design zur Sprache. Im Vortrag „The Impact of Projector and Room Design on Contrast“ ging es um den Einfluss, den das Design des Projektors und die Raumgestaltung auf das Projektionsergebnis haben. Daneben zeigte er mögliche Fehlerquellen auf, die es für ein optimales Kontrastverhältnis zu vermeiden gilt.
Natürlich kommen Kinobetreiber heute auch am Thema Big Data nicht vorbei. Mittlerweile haben alle großen Hersteller von Ticketing-Systemen Lösungen im Programm, mit denen Kinos ihre Online-Besucher besser analysieren können. Mittels automatisierter Mailingaktionen können so etwa personalisierte Angebote für den Kunden erstellt und im besten Fall zusätzliche Umsatzmöglichkeiten geschaffen werden.
Doch nicht nur technische Innovationen sind wichtig, Kinobetreibern und Verleih geht es auch ums Geschäft. Mehrere Seminare und Vorträge beschäftigten sich daher zum Beispiel damit, wie weitere Säle zu einem bestehenden Kino hinzugefügt werden können, bestmöglich aus architektonischer, technischer und wirtschaftlicher Sicht. Das Kino vielfältiger machen, auch dies wurde anhand konkreter Geschäftsszenarien beleuchtet. Eine weitere Diskussionsrunde ging gleich ganz konkret an eine Summe: In welche Technologien investiert man 50.000 Euro am besten, um seine Einnahmen zu steigern?
Selbstverständlich können solche Diskussionen nur erste Anhaltspunkte liefern, in welche Richtung das Kino sich weiterentwickeln könnte, zu unterschiedlich sind die jeweiligen Kinomodelle: ein Arthaus-Betreiber investiert anders als ein kleiner Familienbetrieb mit konventionellem Programm oder ein Multiplex einer großen Kinokette.
Doch etwas tun müssen alle, um Kino gerade in Westeurope wieder populärer zu machen. Wie die auf der Messe präsentierten Zahlen von Media Salles zeigen, stieg die Anzahl der Kinobesucher 2016 um zwei Prozent auf insgesamt 1,2375 Millionen Besucher. Die Kinos in Westeuropa mussten jedoch einen leichten Rückgang um 0,3 Prozent verkraften, während die Besucherzahlen in Osteuropa und dem Mittelmeerraum um 7,8 Prozent anstiegen, eine Differenz, die nicht nur mit schönem Wetter oder der Fußball-Europameisterschaft wettzumachen ist.
Es bleibt viel zu tun, um den Kampf gegen Video-on-Demand-Angebote und den heimischen Fernseher um die Gunst der Zuschauer nicht zu verlieren. Die technologischen Möglichkeiten können, sinnvoll eingesetzt, den gewünschten Mehrwert bieten. Welche Entwicklungen schlussendlich das Rennen machen, ist von vielerlei Faktoren abhängig. HDR/HFR kann, in Verbindung mit dem richtigen Content, ein Zugpferd sein. Ob ein Kino die Nase vorn hat oder nicht – im Einzelfall wird es auf das Gesamtpaket eines Kinos hinauslaufen: technische Innovationsfähigkeit, geeignete (vielleicht auch vermehrt regionale) Inhalte und das passende Preis-/Leistungsverhältnis.
Angela Bünger, FKT
ICTA Awards:
Classic Screen of the Year – Tennispalatsi Finnkino Helsinki, Finnland
New Build Screen of the Year – Hollywood Megeplex Pluscity & IMAX-Theatre
Pasching, Österreich
New Screen of the Year Arcadia Cinemas, Melzo (MI), Italien
Cine Europe Awards:
comScore European Box Office Achievement Award – Walt Disney Studios Motion
Pictures Internationals’ Rogue One: A Star Wars Story
UNIC Award of Achievement – Piero Fumagalli, Arcadia Cinemas
Independent Producer of the Year – Telecinco Cinema
International Exhibitor of the Year – Eddy Duquenne, Kinepolis Group
International Distributors of the Year – Lee Jury und Tony Chambers, Walt Disney
Studios Motion Pictures International
CineEurope Founder’s Recognition:
Jose “Pepe” Batlle
Joost Bert, Kinepolis
The Coca-Cola Company, Accepted by Stephane Monnot
Jean Labé
Tomás Naranjo, Kelonik
Lauge Nielsen, Pathé
Jaime & Camillo Tarrazón, ACEC
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