„CREATIF“: Spielwiese für neue Technologien

FKT 11/2022
Forschung & Entwicklung
Mit dem Forschungsprojekt „CreatiF“ wollen die HFF-Professoren Peter C. Slansky und Siegfried Fößel in den kommenden fünf Jahren am ganz großen Rad drehen. „Im Kern geht es dabei darum, eine Verbindung zwischen technologischen Entwicklungen und kreativen Aspekten der Filmproduktion zu schaffen“, erläutert Slansky. Geplant ist unter anderem, in einem neuen „Creative Innovation Lab“ virtuelle Produktionen zu realisieren und KI-basierte Verfahren zu erproben. „Mit diesem Reallabor schaffen wir eine Spielwiese, um neue Technologien zu testen, ohne Geld- und Zeitdruck“, betont Fößel.

FKT: Herr Professor Slansky, Herr Professor Fößel, mit Ihrer Vision eines CreatiF-Centers – das steht für Kreative Filmproduktion und Verwertung – waren Sie bei dem Wettbewerb „Innovative Hochschule“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) erfolgreich. Das Forschungsprojekt wird in den nächsten fünf Jahren gefördert. Wie wichtig ist diese Unterstützung?  

Peter C. Slansky: Die Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) ist eine vergleichsweise kleine Hochschule mit 400 Studierenden. Mit unserem Vorhaben aber wollen wir ein sehr großes Rad drehen. Personell gibt es jedoch keine Spielräume, etwa neue Institute zu gründen. Der Impuls zu einer solchen Gründung ging von Siegfried Fößel aus. Unsere Idee des CreatiF-Centers können wir aber nur mit einer solchen, substanziellen Förderung realisieren. Im Kern geht es dabei darum, eine Verbindung zwischen technologischen Entwicklungen und kreativen Aspekten der Filmproduktion zu schaffen.  
 

FKT: CreatiF soll den Digitalisierungs- und Vernetzungsprozess in den Mittelpunkt rücken. Was steht dahinter?

Siegfried Fößel: Wir hatten an der HFF schon länger die Idee, ein Creative Innovation Lab zu gründen, um in studentischen Filmprojekten, in Workshops oder in Seminaren neue Technologien zu erproben und auf ihre Anwendbarkeit zu testen. Das ist ein wichtiger Aspekt für unsere Partner aus der Industrie – bei neuen Technologien müssen Anwender frühzeitig eingebunden werden, um eine möglichst gute Verwertbarkeit zu ermöglichen.  

FKT: Welche Rolle wird CreatiF für den regionalen Filmstandort München spielen?

Peter C. Slansky: In München gibt es einige sehr wichtige Firmen im Filmtechnologiebereich. Da besteht erhebliches Interesse an der Zusammenarbeit mit einer Institution wie der HFF. Mit dem CreatiF-Center schaffen wir nun hervorragende Möglichkeiten für die Zusammenarbeit – personell, aber durchaus auch mit Blick auf die technische Ausstattung. Und mit einer Laufzeit von fünf Jahren haben wir einen langen Atem. Das wird keine Eintagsfliege.  

FKT: CreatiF setzt sich dafür aus drei Teilprojekten zusammen. Was ist Ziel des Teilprojekts Creative Innovation Lab (CIL)?

Siegfried Fößel: Mit diesem Reallabor schaffen wir eine Spielwiese, um neue Technologien zu testen, ohne Geld- und Zeitdruck. Etwa 120 Filme im Jahr produziert die HFF – diese zahlreichen studentischen Arbeiten bieten die Möglichkeit, in einzelnen Filmprojekten solche Technologien erproben zu können. Und die HFF bringt im Übrigen sehr erfolgreiche Produktionen hervor: Gerade erst sind zwei HFF-Filme mit Studenten-Oscars ausgezeichnet worden.  

FKT: Welche neuen Technologien werden die Studierenden an der HFF erproben?

Siegfried Fößel: Virtual Production ist ein Thema, das in den vergangenen Jahren vor allem bei großen Produktionsfirmen Gestalt angenommen hat. Um auch kleinere Produktionen umsetzen zu können, werden wir an der HFF ein reales Studio-Set mit einer Virtual Production-Umgebung kombinieren. Zweiter großer Schwerpunkt ist Künstliche Intelligenz (KI). KI-basierte Verfahren machen es beispielsweise möglich, den Filmschnitt zu unterstützen oder fotorealistische 3D-Objekte freizustellen und in andere Umgebungen zu setzen. Damit werden sich die Studierenden befassen. Daneben sind neue Datenworkflows wichtig. Wir wollen Arbeitsabläufe schaffen, um Produktion und Postproduktion in der Cloud gestalten zu können. Da gibt es viele Sachen, die zu testen und zu erproben sind.  

FKT: Und das in enger Zusammenarbeit mit Unternehmen in der Region...

Siegfried Fößel: Gerade im regionalen Bereich wollen wir eng mit Firmen wie ARRI, dem Bayerischen Rundfunk, Bavaria oder Constantin zusammenarbeiten, um unser regionales Netzwerk zu nutzen und weiter auszubauen.  

Peter C. Slansky: Man kann in einer solchen Kooperation dann besonders gut kooperieren, wenn man selber auch etwas einbringt. Das Beispiel Virtual Production ist ein schwieriges Feld für die Ausbildung. Die Investition in LED-Volumes ist eine echte Herausforderung für kleine Institutionen wie Filmhochschulen.

Im Bereich der Kameraführung bewirkt die Technologie, dass sich Workflows komplett umstellen. Das hat enorme Auswirkungen auf den kreativen Prozess. Die Serie „1899“, die im November auf Netflix zu sehen ist, haben mit Jantje Friese und Baran bo Odar sowie Nikolaus Summerer als Kameramann maßgeblich HFF-Absolventen realisiert. Dieses Werk ist deshalb so innovativ, weil es von dem Kreativ-Team von vornherein als virtuelle Produktion konzipiert wurde. Das ist ein Beispiel von Realismus in der Bildkunst, das nicht selbstverständlich ist. Dafür sollten aber eben auch entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.

Wenn wir als Filmhochschule virtuelle Produktionen in unsere Lehre integrieren wollen, müssen wir hierfür in unseren eigenen vier Wänden Möglichkeiten schaffen. Das ist der Grund unserer Investition. Gleichzeitig ist das Projekt ein gutes Beispiel für die Studierenden, den gestalterisch-künstlerischen, den technischen und den wirtschaftlichen Aspekt unmittelbar gemeinsam zu betrachten.

Siegfried Fößel: In Gesprächen mit der Industrie ist zudem sehr deutlich geworden, dass nach Fachkräften mit Virtual Production-Erfahrung händeringend gesucht wird. Diese Erfahrungen zu vermitteln, muss unser Ziel an der HFF sein.  

FKT: Das Teilprojekt Integratives Produktionsmanagement (IPM) soll die Vernetzung mit der regionalen Filmwirtschaft ins digitale Zeitalter überführen. Worauf zielen Sie hier ab?
 
Peter C. Slansky: Dieses Teilprojekt hat zwei Ebenen – hochschulintern und im Austausch mit der Branche. Die 120 Filme pro Jahr umfassen Werke der unterschiedlichsten Längen und Formate, mit einem nennenswerten Anteil von abendfüllenden Dokumentar- und Spielfilmen. Das HFF-Produktionsvolumen ist enorm, sei es im fiktionalen, im dokumentarischen oder im journalistischen Bereich. Hinzu kommen Werbespots und weitere Produktionsformen. Bei den sehr stark individualisierten Produktionen haben wir erhebliches Potential identifiziert, mithilfe von datenbankgestützten Systemen unsere Abläufe transparenter und moderner zu gestalten.

Filmproduktion hat oftmals etwas Manufakturhaftes an sich. Das einzelne Werk steht im Vordergrund. Das ist aus Sicht eines Studierenden, der in einem künstlerischen Studiengang Regie studiert, wichtig und richtig. Aber die Hochschule muss ihre Abläufe auch im Ganzen betrachten. Mit den begrenzten Ressourcen gilt es, Produktionen möglichst effizient, transparent und gerecht durchzuführen. Unser Ziel ist es, das Produktionsmanagement organisatorisch zu verbessern und zu lernen, wie vernetzte Produktion in der Branche bereits funktioniert. Dies kommt dann auch beim digitalen Austausch mit der Branche zum Tragen.

Siegfried Fößel: Heute werden teilweise noch Planungen auf Papier oder per Telefon gemacht. Wir wollen die Digitalisierung nutzen, um den Austausch und den Zugriff auf Informationen sowohl intern als auch extern zu verbessern. Das erfordert entsprechende Datenbanken und Tools.  

FKT: Im dritten Teilprojekt HFF Filme (HFF|F) kümmern Sie sich um die Vervollständigung des HFF-Filmarchivs und um den Aufbau einer Mediathek. Welche Rolle spielen hier neue, auch teilautomatisierte Workflows?

Siegfried Fößel: Das hat verschiedene Aspekte. Wir haben an der HFF analoge Filme, die wir digitalisieren möchten. Auf der anderen Seite verfügen wir über digitale Filme, die als DCP oder als ProRes-Files vorhanden sind. Dem Ganzen mangelt es aber noch an einer systematischen Aufbereitung für ein Langzeitarchiv. Der erste Teil wird darin bestehen, ein Konzept für ein Langzeitarchiv zu erstellen, verschiedene Formate einzuspeisen und mit Metadaten zu versehen. Der zweite Teil steht damit in Zusammenhang. Heute werden Filme bereits digital produziert. Die entscheidende Rolle spielen aber die Festivals, mit ihren unterschiedlichen Anforderungen. Wir wollen zu neuen Workflow kommen, mit denen das Filmmaterial in verschiedenen Formaten für die einzelnen Festivals – ohne manuellen Eingriff – automatisch generiert wird. Außerdem planen wir den Aufbau einer Online- Mediathek. Ziel ist es, HFF-Filme Symposien oder gesellschaftsrelevanten Diskussionen zur Verfügung zu stellen.  

FKT: Wird es sich bei der Mediathek um eine eigene Entwicklung handeln – oder arbeiten Sie hier mit Partnern zusammen? Peter C. Slansky: Diese Frage zu beantworten, ist Teil des Projektes. Wir haben aus gutem Grund eine Evaluationsphase an den Anfang gestellt, das Rad müssen wir nicht noch einmal erfinden.

FKT: Partner der HFF beim CreatiF-Center sind das Fraunhofer IIS, Erlangen, sowie die Hochschule für Musik und Theater München. Insgesamt sind für eine Projektlaufzeit von fünf Jahren 16 neue Stellen zu besetzen. Über welche Kompetenzen sollten Bewerberinnen und Bewerber verfügen?

Peter C. Slansky: Generell ist das ein sehr breites Spektrum an Stellenausschreibungen, die wir in den nächsten Wochen und Monaten herausgeben werden. Für die Leserinnen und Leser der FKT sind sicher die Forschungsstellen und die Technikstellen die interessanten, darunter eine Stelle für Virtual Production. Das ist eine hochspannende und qualifizierende Aufgabe. Wenn man dieses Projekt über fünf Jahre mit aufgebaut hat, stehen einem mit einer solchen Vita hinterher alle möglichen Wege offen. Dasselbe gilt auch für die Softwareentwicklung.  

Siegfried Fößel: Die Entwicklerstellen dienen dazu, Technologien, die zugeliefert oder extern beschafft werden, an die Bedürfnisse der HFF anzupassen. Es ist also nicht so, dass an der HFF neue Grundlagenforschung betrieben wird. Vorhandene Software-Bibliotheken oder Technologien haben noch nicht den Zustand, dass sie direkt für die Studenten im Creative Innovation Lab einsetzbar sind. Deswegen müssen entsprechende Skripte geschrieben und Anpassungen durchgeführt werden, zusammen mit den Technologielieferanten. Cloud-Workflow-Software zu entwickeln oder im KI-Umfeld Technologien zu adaptieren, sind äußerst interessante Aufgaben.  

Peter C. Slansky: Im Teilprojekt HFF-Filme gibt es eine Stelle für Film-Archivierung und Mediathek. Hier braucht man eine Begeisterung für das Filmerbe der HFF, mit ihrem Lehrbetrieb seit 1967. Das ist ein teilweise noch ungehobener Schatz, der da schlummert. Verbunden damit ist eine weitere 50-Prozent-Stelle für Veranstaltungen im Filmerbe- Bereich. Auch da hat man eine großartige Spielwiese, nationale und internationale Veranstaltungen zum Austausch zu realisieren – das umfasst einerseits eine filmhistorische Komponente, andererseits aber auch eine Verknüpfung zu aktuellen gesellschaftsrelevanten Diskussionen.  

Siegfried Fößel: Ganz wichtig ist, dass wir bei allen Stellen und allen Technologien das Ganze auf eine neue Ebene der Digitalisierung heben wollen. Bei einer Stelle als Filmarchivar denkt man meistens an ein verstaubtes Lager. Aber das ist in dem Projekt nicht der Fall, weil der digitale Aspekt extrem wichtig ist. Hier wird eine „neue Art“ eines Filmarchivars gebraucht, der sich mit den neuesten Technologien zurechtfindet und auch die Digitalisierung als Chance nutzt. Peter C. Slansky: Zu den absoluten Zahlen: Der Bereich des Creative Innovation Lab und die Gesamtprojekt-Leitung machen sechs Stellen aus. Bei den beiden anderen Teilprojekten – Produktionsmanagement und HFF-Filme – handelt es sich um jeweils drei Stellen. Weitere Stellen sind bei den Projektpartnern angesiedelt.  

FKT: Ein Blick voraus: Wo steht die HFF in fünf Jahren – nach Abschluss des Projekts?

Peter C. Slansky: Nach wie vor an der Spitze (lacht). Ich bin ja kein Bayer, bin hierher an die HFF München gerufen worden. Also musste ich zunächst bayrisch lernen – aber nicht im Sinne der Sprache, sondern des immanenten Selbstbewusstseins. Es ist schon etwas Besonderes, dass eine so kleine Hochschule ein so großes Rad drehen kann. Mit diesem Projekt haben wir etwas angestoßen, was personell die Hochschule plötzlich mit einem Schub vergrößert. Wir hoffen, dass dies als eine möglichst feine Vernetzung innerhalb des Hauses und mit der Branche funktioniert. Und dass das Ganze keine komplett abgeschottete Tech-Sphäre ist. Das Interessante an den angesprochenen technisch orientierten Stellen ist die ständige Rückkopplung zu den Kreativen. Ich bin überzeugt, dass es für die zukünftigen Doktoranden eines Creative Innovation Labs eine äußerst spannende Zeit wird. Die Projekt- Laufzeit von fünf Jahren ermöglicht eben auch, in der Vita einen Sprung zu machen. Dann wird das äußerst fruchtbar. Und aus meiner persönlicen Sicht: In vier Jahren werde ich als Beamter in Ruhestand gehen (müssen) – und das soll dann auch ein krönender Abschluss gewesen sein. Aber bis dahin ist noch viel zu tun.

Siegfried Fößel: Wir wollen in fünf Jahren da stehen, dass wir im Bereich der Digital-Technik mit internationalen Produktionsfirmen auf Augenhöhe reden können. Unsere Absolventinnen und Absolventen werden in der Lage sein, neue Technologien in diese Produktionsfirmen sogar mit einzubringen.

FKT: Herr Professor Slansky, Herr Professor Fößel, vielen Dank für das Gespräch.

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