Nicht nur in der Alltags- und Geschäftswelt, auch im Bereich der Kunst entstehen durch neue Medientechnik wie Virtual Reality und 360-Grad-Video tiefgreifende Veränderungen. Die Fachhochschule St. Pölten, die Internationale Gesellschaft für polyästhetische Erziehung (IGPE) und das PolyArt Studio Svec (PASS) widmeten sich kürzlich im dreitägigen Symposium „virtu.real“ dem Thema der Ästhetik im Digitalen mit Fachvorträgen und Kunstaufführungen.
Im Symposium ging es zum Beispiel um die Frage, ob es in einer (digitalen) Welt des permanenten Augenblicks noch ein ästhetisches Bewusstsein und einen ästhetischen Bildungsauftrag gibt. Forscher und Künstler präsentierten im Rahmen der Veranstaltung Projekte aus den Bereichen der Medienkunst und digitalen Lehre.
Markus Wintersberger, FH-Professor für Experimentelle Medien am Department Medien und Digitale Technologien der FH St. Pölten und Mitorganisator des Symposiums erklärte hierzu: „Das Virtuelle wird zu einem alles umschließenden Netz aus Funktionen, Ideen, Imaginationen, Botschaften und Wunschvorstellungen.“ Es habe sich in den Alltag der Menschen eingeschrieben, schreibe die Geschichte der Menschheit neu und verortete Personen in permanenter Echtzeit. „Was auch immer uns in einer Welt des Virtuellen bindet, was schlussendlich bleibt, ist die Begegnung im Realen. Sie setzt uns mit Lebenswirklichkeit in Beziehung, verortet uns als Mensch.“
Für Gerhard Hofbauer, Präsident der Internationalen Gesellschaft für Polyästhetische Erziehung, die mit der Veranstaltung ihr 30. internationales ‚polyaisthesis‘-Symposium abhielt, definiert sich „Polyaisthesis als philosophisch vernetzter und reflektierter Background internationaler polyästhetischer Bildung als ‚Frage nach dem tieferen Sinn aller Sinneserfahrung‘, als Suche nach den Lebensqualitäten.“ Überflutung mit Information könne den Blick auf das Wesentliche beträchtlich und folgenschwer verstellen.
FH-Lektorin Rita Newman hielt eine Keynote zum Thema Virtual Identity und erläuterte, bei virtu.real werde das heutige Wirklichkeitsverständnis im Brennpunkt digitaler Technologien reflektiert und Stichworte wie ‚Überlappung von Realität und Fiktion‘ bzw. ‚konstruierte Wirklichkeiten‘ untersucht. „Die Explosion an Sichtweisen und Bildwelten, welche oft selbst generiert und über Grenzen hinweg kommuniziert werden, könnte als eine Art neue Universalsprache gesehen werden, im wahrsten Sinn des Wortes. Ob diese neue Sprache die Mythen unserer Zeit zu erzählen im Stande ist, wird sich zeigen“, so Newman.
Weitere Keynotes stammten von Josef Buchner vom Projekt Virtuelle Pädagogische Hochschule zum Thema „Digitales Lernen – ein Paradigmenwechsel? Tickt die Jugend digital?“ und von der italienischen Musikerin, Künstlerin und Pädagogin Isabella Celentano zum Thema „Polyästhetische Erziehung“. Referiert haben auch Andrea Kárpáti, die an der ELTE-University Budapest Projekte zu „Visual Literacy“ auf EU-Ebene koordiniert, und Masayuki Nakaji von der Gakugei University Tokio, der an ästhetisch-medialen Projekten der OECD arbeitet.
In verschiedenen Themensessions ging es unter anderem um die Ästhetik der Produktion, die psychologische Ästhetik des Digitalen in Anwendungen, die Psychologie virtueller Akustik, eine kulturpsychologische Sicht auf mediale Welten, internationale Aspekte und Forschungsprojekte sowie die Unterrichtsforschung via Youtube. Neben der Fachtagung an der FH St. Pölten vom 29. September bis 1. Oktober fanden intermediale Performances an der Fachhochschule und im PolyArt Studio Svec (PASS) in Böheimkirchen statt.
Im Rahmen der Veranstaltung stellte die FH St. Pölten auch ihr Forschungs- und Kunstprojekt „Wearable Theatre. The Art of Immersive Storytelling“ zu Literatur, Storytelling und Medienkunst im virtuellen Raum vor [1]. Es untersucht Virtual Reality (VR) auf ihr dramatisches, narratives und strukturelles Potential. Ziel ist das Erschließen und Nutzen des 360°-VR-Mediums als Erlebnisform für literarische Stoffe. Als Ausgangspunkt der Untersuchungen werden Autoren mit existenziell atmosphärischem Erzählton ausgewählt: Fjodor M. Dostojewski, Albert Camus und Max Frisch.
Schlüsselszenen der Romane „Die Dämonen“, „Der Fall“ und „Homo Faber“ dienen als Grundlage für den dramatischen und produktionstechnischen Adaptionsprozess von Figur und szenisch-strukturellem Handlungsverlauf in ein 360°-VR-Script. Ein interdisziplinäres Team aus Autorinnen und Autoren sowie aus den Bereichen Regie, Medienkunst, Schauspiel, Dramaturgie, Komposition und Medientechnik erforscht in diesem dreijährig angelegten Forschungslabor die Zusammenhänge zwischen Kunst und Technologie, Immersion (Eintauchen in VR) und Empathie sowie virtueller Realität und Literatur.
Vor Beginn des Symposiums fand zudem auch die Generalversammlung der Internationalen Gesellschaft für Polyästhetische Erziehung (IGPE) statt, die dieses Jahr ihr 35-jähriges Bestehen feiert.
Symposium virtu.real – zur Ästhetik des Digitalen http://www.paeb.org
Projekt „Wearable Theatre“ https://wearabletheatre.fhstp.ac.at
[1] Das Projekt „Wearable Theatre“ wurde in der FKT 5/2017 ausführlich vorgestellt.