Eine neue Ära: Wie Remote Production die Medien verändert

FKT Magazin 10/2020
Remote Production
Production & Post

Die Pandemie hat das öffentliche Leben im Frühjahr in vielerlei Hinsicht zum Stillstand gebracht. Hatten zuvor viele Menschen einen großen Teil ihrer Freizeit damit verbracht, Live-Sport-Events oder die neuesten Folgen ihrer Lieblingsshows online oder vor dem Fernseher anzuschauen, war dies auf einmal nicht mehr möglich. Besonders der Ausfall von Live-Sportereignissen in den ersten Monaten der Pandemie hat zu großen Veränderungen in der Medien- und Unterhaltungswelt geführt. Die Produzenten medialer Inhalte arbeiten seitdem unter völlig neuen Bedingungen. Sender, Streaming-Plattformen und Veranstalter haben neue Content-Formate entwickelt oder erstmals die Möglichkeiten von Remote Production genutzt – ein Ansatz, der insbesondere für die Übertragung von Live-Inhalten interessant ist. Zwar benötigt Live-Content fast immer auch einen Stamm an Personal vor Ort, doch die meiste Arbeit wird inzwischen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erledigt, die nicht am Ort des Geschehens anwesend sind. Auch wenn die Umsetzung nicht immer so einfach ist, wie es auf den ersten Blick scheint, hat Remote Production viele Vorteile.

Worldwide, the pandemic has brought public life to a complete or partial standstill. Most of us retreated to our screens to be informed and entertained. Meanwhile, the producers of media content are working under completely new conditions. Current technology allows innovative formats for media content: celebrity talks from their living room, the eSports boom, social distance shoots and much more. To bring live content to people’s home, broadcasters are looking at the remote production model. While majority of the live content still require a skeleton crew on location, most of the work is done by remote workers. It might look simple enough, but more goes into remote production than meets the eye. Lockdown has made content createors and broadcasters realise the benefits of remote production and its possibilities will change the media landscape in the long term.

Obwohl die deutsche Fußball-Bundesliga im Mai als eine der ersten Ligen weltweit den Spielbetrieb wieder aufnahm, herrschte eine merkwürdige Stille in den sonst so gut besuchten Sportstätten. Auf höchstens 300 Personen begrenzte die DFL zunächst die Zahl der im Stadion und der unmittelbaren Umgebung anwesenden Personen – Spieler, Trainerstäbe, Sicherheitskräfte, ausgewählte Journalisten und Produktionsteams eingerechnet. Die Stadien wurden ringförmig in jeweils drei Zonen aufgeteilt, in denen sich jeweils höchstens hundert Menschen aufhalten durften. Die Fans konnten nicht vor Ort dabei sein, sondern waren auf die TV-Berichterstattung und Streaming-Angebote angewiesen. Sogar die Inhalte wurden, abgesehen natürlich von den Sportlern, Kameraleuten und einigen wenigen Technikern vor Ort, remote, also weit entfernt vom Stadion produziert. Bildregie, Schnitt, Moderation, Kommentierung, Soundabmischung und alles andere, was ein ganzheitliches, unterhaltsames Erlebnis für die Fans zu Hause gewährleistet, wurde in die Studios der Medienhäuser ausgelagert. Dieses Konzept haben viele Sport- und Event-Veranstalter weltweit kopiert.

Die Vorteile von Remote Production

Remote Production gibt es bereits seit einigen Jahren, aber die COVID-19-Pandemie und die damit einhergehenden Beschränkungen haben den Bekanntheitsgrad dieser Produktionsmethode in der Medien- und Unterhaltungsindustrie deutlich erhöht. Doch die Vorteile von Remote Production beschränken sich nicht nur auf die Corona-Pandemie.
Die Kosten für die Produktion und Übertragung von großen Sport-Events sind bei traditionellen Produktionsarten enorm, da eine Flotte von Übertragungswagen am Veranstaltungsort sowie ein großes Technikteam, das für den laufenden Sendebetrieb verantwortlich ist, benötigt werden. Bei Remote Production kann ein Großteil der Kosten eingespart werden, da weniger Reisen nötig sind und weniger Equipment vor Ort benötigt wird. Ein flexiblerer Arbeitsablauf und die nahtlose Übertragung von Inhalten ist möglich – bei gleichzeitig erheblichen Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen.
Seit 2017 stellt Tata Communications Konnektivität für den Rechteinhaber von MotoGP, Dorna Sports, bereit, damit dieser den Motorsport-Fans innovative Übertragungen anbieten kann. Das Angebot von Tata Communications hat das Produktionsteam von Dorna in die Lage versetzt, seinen Sendebetrieb umzubauen und remote von seinem Hauptsitz in Barcelona zu arbeiten.
MotoGP ist die älteste etablierte Motorsport-Meisterschaft der Welt und ein Synonym für Geschwindigkeit, Nervenkitzel und nervenaufreibende Erlebnisse. Eine typische MotoGP-Saison besteht aus einer Reihe von Grand-Prix-Rennen, die über Europa, Asien, Amerika, Australien und den Nahen Osten verteilt sind. Da sich das Renngeschehen in Sekundenschnelle ändern kann, muss die Produktion nahtlos ablaufen, um den Fans auf der ganzen Welt ein aufregendes Fernseherlebnis zu bieten. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, nutzt jeder der Standorte von MotoGP die Konnektivität und Remote Production-Möglichkeiten von Tata Communications im Sendezentrum in Barcelona, Spanien. Dies gewährleistet eine zuverlässige Verteilung von Live-Video-Feeds aus verschiedenen Quellen, darunter Filmmaterial von der Rennstrecke, 360°-Bordkameras und Kommentare – und letztlich ein brillantes Erlebnis für die Fans überall.
Von Motorsport bis Kricket können Sportfans über Social Media-Plattformen heutzutage sofortige Updates erhalten. Das bedeutet aber auch, dass sie nun erwarten, das Geschehen immer live und ohne Zeitverzögerung zu verfolgen, auch wenn das Rennen oder Spiel auf der anderen Seite der Welt stattfindet.
Dies übt zusätzlichen Druck auf die Broadcaster aus: Die Zeit, die es für jeden Frame braucht, um einmal um die Welt zur Remote Production-Stätte zu gelangen, gefolgt von der Umwandlung in ein einziges Broadcast-Feed und der endgültigen Übertragung, darf bestenfalls nur wenige Sekunden dauern. Um ein echtes Live-Sporterlebnis zu ermöglichen, muss jedes Mitglied des Remote Production-Teams wie ein Rädchen in einem feinen, komplizierten Räderwerk agieren. Das Team vor Ort muss auf Anweisungen und Rückmeldungen von den Produktionsteams reagieren und gleichzeitig vollkommen konzentriert auf das Geschehen sein, um alles einzufangen. Echtzeit-Kommunikation ist dabei entscheidend. All dies – die sofortige Anreicherung der Inhalte und die nahtlose Übergabe der Feeds an die Standorte der Sender für den Satelliten-Uplink – wird durch Hochgeschwindigkeits-Verbindungen ermöglicht.
Mit der Pandemie neigt sich das Pendel endgültig in Richtung Remote Production. Geschätzt werden etwa 75 Prozent der Rundfunkanstalten die Einführung von Remote Production nach der Corona-Krise in Erwägung ziehen. Die Verringerung von Reisen wird sowohl Kosten für die Firmen sparen als auch die Mitarbeiter entlasten und gleichzeitig die Umwelt schonen. Und das Geld, das die Unternehmen einsparen, kann wiederum in ihre eigene digitale Transformation investiert werden.

Auf in die Cloud

Die Pandemie hat die Menschen dazu gezwungen, zu Hause zu bleiben und noch mehr Inhalte auf digitalen Plattformen wie Netflix oder Amazon Prime zu streamen. Angesichts der großen Nachfrage nach Inhalten haben die Medienmacher auch vom Homeoffice aus ihr Bestes gegeben, um den Zuschauern die Inhalte zugänglich zu machen. Viele haben auch die Umstellung auf Remote Production ausprobiert. Während der Großteil der Live-Inhalte immer noch eine Grundmannschaft vor Ort benötigt, wird die meiste Arbeit von externen Mitarbeitern erledigt.
Beispielsweise übertragen viele Talkshow-Moderatoren neue Episoden jetzt von zuhause aus. Sie haben ihre riesigen Crews, Bands und Live-Publikum für das heimische Wohnzimmer eingetauscht und unterhalten sich nun per Video-Chat mit ihren prominenten Gästen.
Es sieht vielleicht einfach aus, aber zu Remote Production gehört mehr, als man auf den ersten Blick sieht. Das Live-Geschehen muss perfekt eingefangen werden, bevor es nahtlos und schnell in das zentrale Sendestudio übertragen wird. Dort steht dann der Rest des Teams und das entsprechende Equipment zur Verfügung, um die Rohinhalte zu bearbeiten und zur Produktion zu senden.
Durch die Virtualisierung der gesamten Umgebung und den Einsatz von Medienorchestrierung in der Cloud können die Teams jedoch Cloud-basierte Content-Workflows erstellen, die es den Produzenten und allen weiteren Beteiligten ermöglichen, die Videoproduktionskette von Anfang bis Ende aus der Ferne zu verwalten. Durch die Migration zur Cloud können Remote-Teams ihre üblichen Workflows wie die Bereitstellung von Dateien, die Transkodierung von Videos für OTT-Plattformen und framegenaue Bearbeitung nahtlos in virtuellen Umgebungen integrieren und automatisieren – ohne dass Feeds zwischen physischen Workstations übertragen werden müssen.

Zunehmende Akzeptanz von eSports

Durch die technischen Möglichkeiten dieser neuen Produktionsumgebungen eröffnen sich auch zahlreiche neue Möglichkeiten für innovative Content-Formate. So entstand unter anderem auch aus dem Mangel an anderen Sportveranstaltungen ein starkes Wachstum im Bereich des eSports. Die eSport-Branche ist in den letzten Jahren bereits stark gewachsen und dieses Wachstum wurde durch die Pandemie jetzt noch zusätzlich angeheizt. Selbst in der strengsten Phase der Schließungen konnten deren Veranstalter ungehindert weiterproduzieren. Denn im Bereich der eSports-Turniere ist eine vollständige Remote Production möglich und oft auch ohnehin üblich. Regisseure, Produzenten, Sendetechniker und professionelle Spieler – sie alle können aus der Ferne an einem eSport-Turnier arbeiten und teilnehmen.
Im April veranstaltete die NBA – eine der ersten namhaften Organisationen, die ihre Aktivitäten aufgrund von Covid-19 eingestellt hat – ein virtuelles Basketballturnier für ihre Superstars. Spieler wie Kevin Durant und Spencer Dinwiddie spielten „NBA 2K“ live auf ESPN gegeneinander. Das Turnier hielt nicht nur Sponsoren, Rundfunkanstalten und Fans bei Laune, der Gewinner erhielt auch 100.000 Dollar für eine Covid-19-bezogene Wohltätigkeitsorganisation seiner Wahl.
Doch auch wenn eSports Social Distancing begünstigt, müssen die Veranstalter dabei viel beachten. Ein Turnier erfordert nach wie vor mehrere Kameras, Schnitttechnik und Motivwechsel, Kommentare und Zuschauerreaktionen, die in Echtzeit aufgenommen und bearbeitet werden müssen. eSports im Fernsehen erfordert wie die Übertragung echter Spiele eine robuste digitale Übertragungsinfrastruktur und Konnektivität – etwas, für das nicht alle Medien- und Unterhaltungsunternehmen gerüstet sind.
Im Bereich eSports müssen sie insbesondere beachten, dass sie Streaming-Lösungen mit niedriger Latenz einsetzen, insbesondere bei Live-Wettbewerben mit Spielern in verschiedenen Regionen. Auch dezentralisiertes Cloud-Gaming ist vorteilhaft. Dadurch können Spiele an mehreren Standorten gehostet werden, ohne an jedem Ort teure Hardware installieren zu müssen.

Beginn einer neuen Ära

Die Pandemie hat erhebliche Auswirkungen auf die Medien- und Unterhaltungsindustrie gehabt. Während eine Reihe von Live-Sportarten und -Veranstaltungen abgesagt wurden, hat sich die Branche für ein beschleunigtes und nachhaltiges Wachstum digitalen Technologien zugewandt. Die jetzt gefundenen Ideen und Innovationen werden noch lange nach dem Ende dieser Pandemie einen großen Einfluss auf die Branche haben.
Zum jetzigen Zeitpunkt sollte die erste Priorität für jedes Medienunternehmen und jeden Sportverband darin bestehen, seine Arbeitsabläufe in die Cloud zu verlagern. Abgesehen davon, dass sie ihre Inhalte überall zugänglich macht, bieten einige moderne Cloud-Dienste den Unternehmen Zugang zu KI-verstärkten Metadaten, welche die Nutzererfahrung zum Beispiel durch personalisierte oder mehrsprachige Inhalte verbessern werden. Alle Investitionen in diese Tools werden heute dazu beitragen, die Medien- und Unterhaltungsindustrie flexibler und zukunftsfähiger zu machen und auf eine neue Ära der Unterhaltung vorzubereiten.