Mit seinem Netzwerk Management System (NMS) hat der Darmstädter Dienstleister VIDI eine Lösung entwickelt, die Steuerung, Überwachung und Konfiguration komplexer Netzwerke ermöglicht. Der Anspruch: Das NMS soll offen, flexibel und gleichzeitig einfach zu handhaben sein.
Die Geschichte des VIDI NMS, das seit vorigem Jahr in Version 2.0 vorliegt, reicht zurück in eine Zeit, als die Fußball-EM 2012 und die Fußball-WM 2014 näher rückten. Es war klar, dass die Großveranstaltungen in Polen und der Ukraine sowie in Brasilien ein weit verteiltes Video- und Datenübertragungsnetzwerk erforderlich machen würden. Eine Vielzahl heterogener Hard- und Softwarekomponenten im Netz galt es somit zu managen und zu überwachen.
„VIDI war ursprünglich kein Unternehmen, dass sich Softwareentwicklung auf die Fahnen geschrieben hat“, sagt Bernd Meinl, Sales Director bei dem Darmstädter Dienstleister. Damals aber entschied man sich unter der Federführung von Karsten Winterberg – heute Geschäftsführer und technischer Leiter im Unternehmen – zu einer Eigenentwicklung. Der Ansatz: Das Network Management System sollte so offen und flexibel wie möglich, gleichzeitig aber auch intuitiv zu handhaben sein. „Angefangen hat die Software-Entwicklung bei VIDI mit einem Steuertool, um Geräte zu konfigurieren und zu überwachen“, berichtet Krispin Weiß, Produkt-Manager des NMS. Dieses Tool haben die VIDI-Ingenieure im Laufe der Zeit als umfängliche Netzwerk-Management-Lösung weiterentwickelt, um Netzwerkgeräte, Datenpfade und Verbindungen visualisieren und schalten zu können.
Die Programmierer orientieren sich bei dem NMS am ISO-OSI-Schichtenmodell – mit einer Treiber-Schicht, einer XML-Schicht für die Kommunikation, einer XML-Schicht für Ressourcen und einer Schicht für die Benutzeroberfläche (GUI). „Wir haben unterschiedliche Abstraktionsebenen: Ganz oben ist die Benutzeroberfläche, also die grafische Visualisierung des Geräts oder der Dienste. Ganz unten wird die Kommunikation auf Netzwerkebene realisiert, sowohl mit proprietären als auch mit offenen Protokollen wie JSON-RPC, NMOS, Ember+ oder SNMP (Simple Network Management Protocol)“, beschreibt Weiß das Konzept. Dazwischen befindet sich die Treiber-Schicht, die sich um die Kommunikation mit dem Gerät auf Netzwerkebene kümmert. Direkt darüber setzt eine XML-Modellierungschicht auf: „Hier können wir festlegen, welche Parameter abzufragen sind und wie das Gerät dem Benutzer dargestellt wird“, erläutert Weiß. Mit der XML-Schicht sind die Entwickler in der Lage, schnell und flexibel Anpassungen vornehmen zu können – wenn etwa ein Nutzer bestimmte Parameter in individuellen Intervallen abfragen möchte oder spezielle Wünsche an die Visualisierung von Status-LEDs, Diensten oder Port-Auslastungen hat.
„Das kann beliebig abstrakt modelliert sein“, skizziert der Netzwerkspezialist. Zur Verfügung stehen unterschiedliche Module – je nachdem, was der Nutzer für seine Zwecke benötigt. „Sei es für Geräte-Überwachung oder Geräte-Konfiguration, sei es für dynamisches Schalten über ein X/Y-Panel oder für das Flow Management über ein Webportal – wir können hier individuell Pakete zusammenstellen.“
Die Flexibilität, mit allen erdenklichen externen Systemen interagieren zu können, sei extrem wichtig, unterstreicht Bernd Meinl. „Seine Stärken spielt unser System dann richtig aus, wenn in einem NOC mehrere Software-Tools durch das NMS ersetzt werden.“ So kann sich der Operator auf das Wesentliche konzentrieren und Zusammenhänge leichter und schneller verinnerlichen. „Unser Ansatz ist es, andere Systeme sukzessive zu ersetzen, indem wir alle Funktionen mit unserem NMS abbilden.“
Einfacher Austausch
Wenn es darum geht, zusätzliche Geräte zu unterstützen, muss keine neue Version installiert werden. Vielmehr reicht es Weiß zufolge, ein Konfigurationspaket für die Kommunikation mit dem Gerät zu laden. „Unsere API ist für unsere Kunden von größter Bedeutung, weil sie einen einfachen Austausch mit unserem System erlaubt.“ Das könne als Northbound- oder Southbound-
Interface genutzt werden. „Das heißt, unser NMS kann in Richtung der Geräte, aber auch in Richtung eines anderen Umbrella-Systems kommunizieren.“ VIDI-Kunden nutzen diese Schnittstelle beispielsweise, um SLA-Reports zu erstellen, die auf den aufgezeichneten Daten basieren.
Im Fehlerfall ist es indes wichtig, dass der Operator schnell agieren kann – und sich nicht Gedanken machen muss über die Handhabung von verschiedenen Webinterfaces, Tools oder SSH-Zugängen. „Wir modellieren dies so, dass alle Geräte ähnlich aussehen und der Nutzer über die gleichen Befehle auf die gleichen Konfigurationsdialoge kommt – er verliert nicht den Überblick und spart unheimlich viel Zeit“, betont Krispin Weiß.
Drei Komponenten
Das Network Management System von VIDI besteht aus drei Komponenten – einem Windows-Dienst, einer MySQL-Datenbank und einer grafischen Benutzeroberfläche. Die Server-Komponente läuft auf einem entsprechenden Windows-Rechner, sie kann auch in der Cloud oder virtualisiert gehostet werden. Der Server-Dienst ist für die eigentliche Kommunikation mit den Geräten zuständig, also für Statusabfragen und Konfigurationen. Die Daten, die die Geräte liefern, schreibt das NMS in die MySQL-Datenbank – die zweite Komponente. Über das grafische User Interface, der dritten Komponente, loggen sich die Operatoren via Workstations im Netzwerk ein, mit individuell administrierten Zugriffsberechtigungen. Das System kann redundant aufgebaut werden – stürzt ein Server ab oder fällt eine (Datenbank-)Komponente aus, übernimmt eine redundante Instanz den Betrieb.
Wesentliche Bestandteile der grafischen Benutzeroberfläche sind die Menü-Struktur und die sogenannten „Workspaces“. „Das sind Konstellationen aus Ansichten, um verschiedene Aufgaben bewältigen zu können“, erläutert Weiß. Dies können Visualisierungen von Geräten und der gesamten Netz-Infrastruktur sein. Im Netzwerk des VIDI-Kunden Sportcast etwa, der die Basissignale der Fußball-Bundesliga produziert, erhält der Operator über einen Navigationsbaum Einblick über die einzelnen Schauplätze („venues“) der ersten und zweiten Bundesliga. In einer geographischen Ansicht kann der Nutzer sich einen Überblick verschaffen, wie die Stadien verteilt sind – und gegebenenfalls in den Standort hineinzoomen.
Tritt an einem der Standorte ein Problem auf, zeigt das NMS dies mit entsprechender farblicher Markierung an – und der Anwender sieht direkt, welcher Port beispielsweise einen Fehler aufweist. „Bei einem fehlenden Eingangssignal vom Kunden alarmieren wir diesen umgehend, damit er seinen Fehler abstellen kann“, sagt Weiß. Bei Problemen, die VIDI beheben kann, wird das Unternehmen selbst aktiv. Dann sind etwa Ersatzschaltungen - automatisiert oder händisch – zu aktivieren, Komponenten auszutauschen, Dienste neu zu starten oder Geräte umzukonfigurieren. Bei einer Störung auf der Netzwerkebene wird diese umgehend an den Netzwerkbetreiber gemeldet.
Neben dem Gesamtstatus jedes Geräts im Netzwerk kann der Nutzer sich einen Einblick verschaffen, wie viele Ports vorhanden sind, welche davon aktiviert wurden und in welchem Zustand sie sich befinden. Mit durchgängigen Color Codes erkennt er, ob es sich um eine sendende oder eine empfangende Einheit handelt. Eine Ressourcen-Anzeige gibt Auskunft über alle verfügbaren Decoder-Instanzen und zeigt an, welche Decoder aktuell verwendet werden. Der Zugriff auf eine Trunk-Karte – eine Netzwerk-Interface-Karte – liefert zudem Einblicke in die Auslastung auf Netzwerkseite. Außerdem ist die Anzeige weiterergehender Details etwa in der LOG-Historie möglich.
Fehler größerer Natur („major“ oder „critical“) sind per Filterfunktion zu verorten. „Es lässt sich sehr schnell herausfinden, welchen Zustand welche Instanzen innerhalb des Netzwerkes zuletzt genau hatten“, betont der Entwickler. Das gilt nicht für einzelne Karten, sondern auch für ein ganzes Gerät. „Das ist effizient programmiert und auf Geschwindigkeit getrimmt.“ Geschrieben wurde das schlanke Programm in C++. „Die Software ist komplett in Deutschland entstanden, um genau zu sein in Darmstadt. Also hundert Prozent Made in Germany. Auch ein Alleinstellungsmerkmal, denke ich“, wirbt Bernd Meinl für die Lösung.
Visualisierung von Datenströmen
Neben der Veranschaulichung der angeschlossenen Geräte kann das NMS auch den Verlauf der Datenströme durch das Netz visualisieren. Eine animierte Ansicht zeigt, welche Hubs bei der Übertragung von einem bestimmten Signal eine Rolle spielen. Das mag bei kleineren Netzwerken vielleicht nicht von allergrößter Bedeutung sein, räumt Product Manager Weiß ein. „Aber das kann sehr schnell auch viel komplexer werden.“ VIDI hat Kunden in den USA und in Russland, deren Netze entsprechende hochkomplexe Topologien aufweisen – von der Ost- bis zur Westküste, von Kamtschatka bis Kaliningrad.
Kooperation mit netorium
Neben den USA und Russland ist das VIDI NMS in weiteren Regionen rund um den Globus im Einsatz, etwa in Dubai, China, Japan und Südkorea. In Deutschland setzen die Darmstädter auf weitere Impulse durch ihre jüngst vereinbarte Partnerschaft mit der netorium AG. Öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender, Satellitenbetreiber und Kabelgesellschaften, Internet Service Provider sowie Anbieter im Umfeld der neuen Medien zählen zu den Kunden des Unternehmens aus Wiesbaden – gut 50 Kilometer entfernt vom VIDI-Sitz in Darmstadt. „Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute so naheliegt“, meint netorium-Vorstand Frank Herrmann.
Die räumliche Nähe ist allerdings nicht der einzige Grund für die Zusammenarbeit. Für netoriums Entwicklerteam war entscheidend, dass die VIDI-Lösung – im Gegensatz zu anderen „schwergewichtigen Sattelschleppern“ – leichtgewichtig und agil sei, betont Frank Herrmann. Erste Detailgespräche mit einem Kunden über den Einsatz des Network Management Systems seien bereits im Gange – konkrete Namen könnten aber noch nicht genannt werden. Für VIDI wiederum ist die Partnerschaft mit netorium „extrem spannend“, betont Bernd Meinl, nicht zuletzt wegen des „exzellenten Zugangs zum deutschen Markt“.
NMOS und SMPTE-2110
Für das Team um Krispin Weiß gilt es derweil, die NMS-Version 2.x in den nächsten Monaten und Jahren weiterzuentwickeln. Ein Schwerpunkt dabei ist die Visualisierung von aufgezeichneten Daten: „Wir streben an, jeden Parameter und jeden Status innerhalb des Netzwerks grafisch in einer Zeitleiste aufzeigen zu können.“ Darüber hinaus arbeiten die Entwickler am Support weiterer Treiber. Die Unterstützung von JSON-RPC und SMPTE-2110 soll ausgebaut und die NMOS-Integration weiter vorangetrieben werden. Bis es so weit ist, steht für die VIDI-Ingenieure das nächste große Projekt noch in diesem Herbst an. Wenn am 26. September der Bundestag gewählt wird, ist das Network Management System beim Monitoring der TV-Außenübertragungen im Einsatz.