„HbbTV ist erwachsen geworden“, lautete das Fazit des Vorsitzenden der HbbTV Association, Vincent Grivet, in seinem Schlusswort zum 9. HbbTV Symposium and Awards. Das Präsenz-Gipfeltreffen der Connected-TV-Branche zog rund 180 Fachleute aus Europa, den USA und Asien an. Diese nutzten die Chance, sich am 24. und 25. November 2021 an der Cité Internationale Universitaire de Paris wieder einmal zum persönlichen Meinungsaustausch zu treffen und sich ein Bild von den aktuellen Entwicklungen und zukünftigen Möglichkeiten des Standards zu machen.
Wichtige Entwicklungen
Die Konferenz bot Einblicke aus erster Hand von internationalen Führungskräften und Experten der Branche, begleitet von einer Ausstellung, auf der führende Marktteilnehmer ihre neuesten Produkte und Dienstleistungen vorstellten. Wichtige Themen waren Erfahrungen mit der Einführung von HbbTV-Angeboten, kommerzielle Anwendungen für Targeted Advertising, Best-Practice-Beispiele für HbbTV-OpApps, Innovationen bei HbbTVApps, die Rolle von Standardisierungen und Erkenntnisse aus den USA. Daneben standen vor allem aktuelle Marktentwicklungen und zukünftige Erwartungen an HbbTV im Mittelpunkt.
Konvergenz Linear-TV und Streaming
Gleich zu Beginn stellte Paul Gray, Senior Research Manager Consumer Electronics bei Omdia, in seiner Keynote die wichtigsten Entwicklungen in den sich rasch verändernden TV-Markt dar. Danach das lineare Fernsehen in Zeiten der Pandemie hinsichtlich der Sehdauer in den wichtigsten internationalen Märkten stabil geblieben. Hingegen verzeichneten Streamingdienste in Italien, Frankreich und Großbritannien ein Wachstum von 100 Prozent und mehr (Grafik 1). Auffällig ist weiterhin, dass sich die Nutzung der wichtigsten Betriebssysteme für den Zugang zu Streamingplattformen wie etwa Android, Tizen, Fire TV, Firefox und Roku sehr heterogen auf die lokalen Märkte verteilt. So führt Tizen überall bis auf China und Japan, in dem Samsung keine TV-Geräte verkauft. Als nächste „Schlacht“ im internationalen TVMarkt identifizierte Gray den Kampf um Aufmerksamkeit der inzwischen weltweit über 300 verschiedenen Streaming-Plattformen.
Streaming hat heute schon in manchen Märkten Linear-TV eingeholt und sogar überholt. Dennoch ist das lineare Fernsehen kein Auslaufmodell, sondern hat sich auf dem hohen Niveau der Vorjahre verfestigt. Dass beide Bereiche zusammenwachsen, deutet sich seit diesem Jahr immer stärker an. Denn auch die Streamingdienste werden mit den Grenzen des Wachstums konfrontiert.
Führende Anbieter im Markt, wie etwa Netflix, Amazon und Rakuten haben im Wettbewerb um Kunden eigene lineare TV-Angebote gestartet., die schrittweise ausgebaut werden. Andere Wettbewerber dürften folgen. Für Vincent Grivet zeichnet sich ab, dass Linear-TV aus seiner traditionellen Führungsrolle in eine Ko-Führungsrolle hineinwächst und sich zunehmend OTT annähert.
Angesichts der stark fragmentierten Welten von Linear-TV und OTT kann HbbTV eine wichtige Funktion übernehmen und dabei helfen, diese Fragmentierung aufzulösen. HbbTV sei heute bereits die bevorzugte Technologie der Rundfunkanstalten und Plattformen in Europa. Der Standard könne diesen Wandel begleiten und sich in einer nachfrageorientierten, hybriden Welt neu erfinden, sagte Grivet in Paris. Aktuelle Marktentwicklungen scheinen dies zu bestätigen. Denn immer mehr Rundfunkanstalten in Europa bauen ihre Geschäftsmodelle im Kampf um die Zuschauer aktiv um, setzen auf eigene Streamingangebote und etablieren diese. SALTO in Frankreich mit öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern ist nur ein Beispiel. Mit dem steigenden Einsatz von HbbTV in der Praxis nehmen zugleich die Akzeptanz und Nutzung durch die Zuschauer zu.
Aus dieser Konvergenz ergibt sich jedoch zugleich auch eine große Herausforderung für HbbTV. Denn der Standard muss sich mittel- bis langfristig vom Rundfunk autonomisieren und auf die entstehende All-IP-Welt vorbereiten.
Wichtige Errungenschaften der jüngsten Zeit seien die Targeted-Advertising-(HbbTV-TA) und ADB2-Spezifikationen, sagte Grivet. Zudem kündigte er das HbbTV-Entwicklerportal an, das in Kürze online gehen wird.
HBBTV AWARDS 2021
Ein wichtiger Bestandteil der HbbTV-Jahresveranstaltung sind die Awards. Diese ehren ausgereifte, innovative, zukunftsweisende Anwendungen, Diensten und Beiträge. Zudem sind diese ein Beleg für die wichtige Rolle, die die HbbTV-Spezifikationen dabei spielen, Zuschauern ein attraktives Fernseherlebnis auf allen Plattformen zu ermöglichen. Die Gewinner wurden von einer unabhängigen Jury internationaler Branchenexperten aus insgesamt 27 Beiträgen aus 9 Ländern ausgewählt und in vier Kategorien übergeben. Mit dem Preis für das Best HbbTV Scale-up Project für die Berliner Nowtilus ging in diesem Jahr eine Auszeichnung nach Deutschland. Zudem wurde nach einer Wahl durch die HbbTV-Mitglieder Thi Thanh Van Nguyen, Samsung, für ihre persönlichen Beiträge zur Weiterentwicklung des Standards in der Kategorie Best Individual Contribution geehrt.
Nationale Fragmentierungen vermeiden
Sehr breiten Raum nahm die Diskussion über unterschiedliche Rahmenbedingungen für HbbTV und Zertifizierungen in Europa ein. Während Deutschland noch keinen Zertifizierungsprozess kennt, zeigen Beispiele aus Spanien, Italien und Großbritannien, wie unterschiedlich die Entwicklungslinien in Europa verlaufen. So waren sich in einer zweiteiligen Sitzung über Konformitätsregelungen und Interoperabilität die wichtigsten Marktteilnehmer, Rundfunkanstalten und Hersteller über die Bedeutung eines robusten Konformitäts- und Zertifizierungsprozesses einig. Sie stellten fest, dass ein paneuropäischer Konformitätsprozess, wenn er denn irgendwann existiert, erhebliche Vorteile bringen könnte, wie etwa die Verringerung der Zertifizierungskosten und -vorlaufzeiten sowie mehr Sicherheit bei der Kompatibilität und Validierung von Geräten. Eine einheitliche Anlaufstelle für Tests und Zertifizierungen in ganz Europa wäre der „Goldene Gral“. Daher sollte aus Sicht der Marktteilnehmer die Umsetzung von HbbTV zwischen den verschiedenen Ländern stärker vereinheitlicht und angeglichen werden, um die bestehende technische Fragmentierung zu verringern. Denn letztlich laufen die Bedürfnisse von Verbrauchern und Sendern im Wesentlichen in die gleichen Richtungen und rechtfertigen keine spezifischen lokalen Versionen. Zudem zeigte sich, dass eine noch engere Zusammenarbeit zwischen den Akteuren der Branche erforderlich ist, um eine umfassendere Einführung der Spezifikationen auf dem Markt zu ermöglichen.
Allerdings wurde sehr richtig angemerkt, dass man sich vom Wunschtraum einer zentralen Anlaufstelle in der Realität aktuell immer weiter entferne, da in vielen europäischen Ländern unterschiedliche politische und regulatorische Vorstellungen vorherrschen, die sich an nationalen Interessen orientieren und zudem wohl nur sehr schwerlich wieder zurückdrehen lassen.
HbbTV Zukunft
Wie komplex das das TV-Ökosystem inzwischen geworden ist, zeigte Richard Lindsay Davies, CEO der Digital Television Group (DTG), am Beispiel Großbritannien auf (Grafik 2). Dieses erstreckt sich mit einer Vielzahl von Beteiligten von der Inhalteproduktion, Plattformbetreibern, Zulieferinfrastrukturen über die Verteilung, Hardware, Zugangsgeräten bis hin zu Betriebssystemen, Nutzer-Interfaces und Endnutzern. Dabei setzt der Nutzer immer noch auf klassische Fernbedienungen, obwohl er sich einfache intuitive Interfaces wünscht. Mit immer mehr Videoinhalten und der zunehmenden Nutzung von Streaming wird zudem das Angebot für Verbraucher immer unübersichtlicher. Gefragt sind Orientierung, Empfehlungen sowie wohldurchdachte, gut strukturierte, intuitive Auswahlmöglichkeiten. Hinzu kommen neue, verbesserte Zugangstechnologien, zudem nimmt der Einfluss von Gaming-Technologie zu. Hier kann HbbTV als nützlicher interoperabler Standard helfen, Innovationen zu unterstützen und eine Basis für die Entwicklung neuer Technologien zu legen.
In der Tat hat sich HbbTV inzwischen zu einer umfassenden Spezifikation entwickelt, die den Anforderungen der anspruchsvollen Verbraucher und des komplexer werdenden heutigen Marktumfelds gerecht wird. Dabei ist durch die HbbTV Test-Suites eine stetige Anpassung an die wichtigsten Marktentwicklungen gewährleistet. Hinter den Weiterentwicklungen stehen alle wichtigen Akteure, die sich in der HbbTV Association entsprechend engagieren. In Paris wurde das steigende Interesse des Marktes deutlich. Denn aktuell zeigen sich immer mehr Hersteller und viele neue Unternehmen und Diensteanbieter interessiert, sich an diesen Weiterentwicklungen aktiv zu beteiligen. Schließlich geht es für Hersteller darum, zertifizierte und marktkompatible Endgeräte beschleunigt bereitstellen zu können. Ein weitere Motivationsschub dürfte sein, dass die Rundfunkanstalten auf breiter Basis dabei sind, ihre Geschäftsmodelle umzustellen. Interaktivität, zeitversetztes Fernsehen und Streaminginhalte geraten dabei für sie verstärkt in den Fokus.
Herausforderungen
Das Stichwort Orientierung gilt aber auch für HbbTV selbst. Neue Fragen und Problemfelder entstehen. Wir geht man künftig mit Randfragen um? Hierzu gehört etwa die Interoperabilität von aktuellem DRM (Digital Right Management) mit HbbTV. Oder wie lassen sich universelle und garantierte Kompatibilität erreichen? Eine andere Frage lautet, wie sich HbbTV für Hersteller vereinfachen lässt. Und die Kernfrage nach dem gewünschten Erhalt der Einheit im HbbTV-Ökosystem angesichts unterschiedlicher nationaler gesetzlicher Vorgaben muss ebenfalls geklärt werden.
Ob dies die HbbTV Association alleine schaffen kann, wurde ebenfalls diskutiert. Letztlich hat die Industrievereinigung nur ein begrenztes Budget, das sie sehr gezielt für Weiterentwicklungen einsetzt, und ist auf ehrenamtliche Mitarbeit angewiesen. Da stellt sich natürlich die Frage, ob man so mittel- bis langfristig mit anderen industriellen Initiativen mithalten kann. Klar ist: In diesem hochkomplexen ganzheitlichen Ökosystem kann die HbbTV Association nicht alle Fragen und Probleme alleine lösen.
Kooperation gefragt
Das Gipfeltreffen in Paris hat gezeigt, dass zukünftig eine noch engere Zusammenarbeit zwischen den Akteuren der Branche erforderlich ist, um die Entwicklung von Spezifikationen rascher voranzutreiben und eine umfassendere Markteinführung zu ermöglichen. Beide Tage belegten zudem, dass die breite Unterstützung von HbbTV durch Rundfunkveranstalter, Plattformbetreiber und Hersteller für die Bereitstellung von Rundfunk- und OTT-Diensten der nächsten Generation sehr deutlich vorhanden ist. Entscheidend wird nun sein, was die Marktakteure daraus machen. Und ob dies zusammen mit anderen Vereinigungen und Interessengruppen passiert.
Für spannende Themen auf dem nächsten HbbTV Symposium und Awards ist jedenfalls gesorgt. Der 10. Branchengipfel findet im November 2022 statt. Den Ort wird die HbbTV Association zeitnah bekanntgeben.