IP-Netze als Teil der Live-Produktionssysteme

Ein Bericht aus der Praxis des Südwestrundfunks

FKT Magazin 6/2022
IP-based Production Systems
Live-Production
IP Workflows
Technologien & Lösungen

Ein zentraler Vorteil der IP-basierten Live-Produktion ist die Nutzung von IP-Netzen zur Übertragung aller Signalarten und die damit verbundene Reduktion dedizierter Infrastruktur. In diesem Artikel werden die für die IP-basierte Hörfunkproduktion notwendigen funktionalen netzseitigen Erweiterungen beschrieben. Hierbei stellt die Bildung disjunkter Wege zur redundanten Übertragung von Medienströmen eine besondere Herausforderung dar. Es wird berichtet, was die Untersuchung der verschiedenen Möglichkeiten zur Realisierung der disjunkten Wegeführung hervorbrachte, nach welchen Kriterien die geeigneten Konzepte vom Netzwerkteam des SWR ausgewählt wurden und wie die gewählte Lösung in einem konvergenten Ansatz mit separierenden VRFs implementiert wurde.

Einführung
Der Trend zur IP-basierten Live-Produktion ist sowohl im Hörfunk- als auch im Fernsehbereich allgegenwärtig. Eine funktionale Untermenge bildet dabei der Transport allerlei Signalarten über IP-Netze. Die IT-basierte Implementierung und die daraus resultierende IP-basierte Signalübertragung bringen im Wesentlichen folgende Vorteile:

  • Funktionale Flexibilität: Der softwaregesteuerten Funktionalität werden im Idealfall kaum Grenzen gesetzt. Die Hardware wird in Zukunft womöglich nur die Leistungsgrenze aber nicht die Funktionsgrenze markieren.
  • Örtliche Flexibilität: Die IP-basierte Konnektivität erlaubt ein örtlich verteiltes Produktionssystem, was zu Effizienzvorteilen bei Technik und Personal führt.
  • Ressourcen-Flexibilität: Virtualisiert oder physisch, On-Premise oder in der Cloud, lokal oder entfernt – alle Szenarien werden in Zukunft mehr oder weniger möglich sein.

Ursprünglich wurde die Technik der IP-Netze für eine Best-Effort-Datenkommunikation entwickelt. Grundsätzlich ist die IP-Kommunikation verbindungslos. Die Wegefindung ist in der Regel dynamisch. Die üblichen IP-basierten Transportprotokolle haben keinen Einfluss auf die Übertragungsparameter eines IP-Netzes. Um aber die mediengerechte Qualität der IP-basierten Übertragung aller Arten der für die Hörfunk- und Fernsehproduktion notwendigen Signale nach AES67 [1] und SMPTE-2110 [2], [3] zu gewährleisten, bedarf es anwendungsspezifischer Einstellungen, Funktionen und Erweiterungen über die grundlegende Funktionalität der IP-Netze hinaus.

Im vorliegenden Artikel wird über die im SWR erarbeitete Lösung für die IP-basierte Hörfunkproduktion nach AES67 berichtet.

Voraussetzungen für mediengerechte Qualität
Ein IP-Netz sollte mindestens folgende Dienste anbieten, um die anwendungsgerechte Funktionalität und die mediengerechte Qualität der AES67-Signale gewährleisten zu können:

  • Quality of Service (QoS): Mit den QoS-Mechanismen in den heute üblichen Switch-Implementierungen wird sichergestellt, dass eine Verkehrsklasse (z. B. Hörfunk-Audioströme) in den Netzwerkkomponenten bei ihrer Weiterleitung priorisiert behandelt wird. Es sei angemerkt, dass die einzelnen Ströme einer priorisierten Klasse die Gleichbehandlung innerhalb der Klasse erfahren. Deshalb ist die richtige Dimensionierung der Netzwerkinfrastruktur gemäß der erwarteten Verkehrsmatrix der Ströme der zu priorisierenden Klassen unabdingbar.
  • Multicast: Multicast ist eine ressourceneffiziente Übertragungsart von einer Quelle zu mehreren Senken, die unmittelbar im Netz implementiert ist. Multicast wird in der modernen AES67-Hörfunknorm als eine notwendige Voraussetzung festgeschrieben.
  • Precision Time Protocol (PTP): Das PTP – als ein sehr genaues Zeitsynchronisationsprotokoll – dient der Versorgung der Medienendgeräte mit der notwendigen Zeitbasis. Daraus wird die benötigte mediengerechte Synchronisierung abgeleitet. Um die mediengerechte Genauigkeit zu erreichen, müssen die Netzwerkkomponenten PTP-fähig sein
  • Disjunkte Wegeführung: Um einen unterbrechungsfreien Signaltransport zu gewährleisten, schreibt SMPTE-2022-7 [4] eine gleichzeitige redundante Übertragung eines Nutzsignals über zwei komplett disjunkte Wege vor. Diese Empfehlung wird sowohl in der IP-basierten Hörfunk- nach AES67 als auch in der Fernsehproduktion nach SMPTE-2110 befolgt. Die besondere Redundanz in Form von zwei disjunkten Wegen von der Quelle zur Senke stellt kein Standardmerkmal eines klassischen IP-Netzes dar. Ihre Implementierung bedarf besonderer Konzeptionierung und spezieller Konfigurationsmaßnahmen.

Der SWR hat bereits seit mehr als einer Dekade ein flächendeckendes QoS-Konzept und die entsprechende Implementierung im Einsatz. Die Mittel dazu bieten die Standard-QoS-Funktionen der eingesetzten Netzwerkkomponenten. Beim Aufkommen neuer Anwendungsfälle (wie z. B. die IP-basierte Hörfunkproduktion) werden diese möglichst im bestehenden Konzept abgebildet. Gegebenenfalls wird das bestehende Konzept um neue Verkehrsklassen erweitert.

Ebenfalls vor Jahren wurde eine flächendeckende Multicast-Funktionalität implementiert, um vor allem die Verbreitung von multicastbasierten IPTV-Signalen im LAN zu ermöglichen. Im Zuge der Einführung der IP-basierten Hörfunkproduktion wurde das IP-Multicastadresskonzept um entsprechende Adressbereiche erweitert und weitergehende Einstellungen für das Multicastroutingprotokoll gemäß AES67-Anforderungen getätigt.

Die IP-basierte Hörfunkproduktion im SWR weist einen starken Dezentralisierungsgrad auf. Die Hörfunkstudios sind bzw. werden über alle drei Hauptstandorte und zehn Regionalstudios verteilt. In diesem Zusammenhang braucht es nicht nur ein effektives, sondern auch ein effizientes PTP-Konzept, das sowohl im fehlerfreien Fall als auch im Fehlerfall einer Uhrinstanz eine mediengerechte Zeitsignalgüte sicherstellt. Das im SWR entwickelte PTP-Konzept wird im PTP-Artikel in dieser Ausgabe ab Seite 19 erläutert.

Eine gleichzeitig benutzbare Wegeredundanz von der Quelle bis zur Senke – um die Signalredundanz zu ermöglichen – ist durch üblicherweise eingesetzte, dynamische Routingprotokolle in einem IP-Netz nicht vorhanden. Ein verteiltes Routingprotokoll sucht den kürzesten Weg zum Ziel anhand der Routingparameter. Im Fehlerfall (z. B. nach einem Komponentenausfall) wird aber gegebenenfalls rasch der nächste kürzeste Weg völlig automatisch bestimmt (Re-Routing). Da die IP-Kommunikation verbindungslos ist, das Routingprotokoll dynamisch und dezentral die Wegefindung bestimmt und die Entscheidung zur Weiterleitung von IP-Paketen in den Netzwerkknoten lokal getroffen wird, ist weder eine zentrale Vorgabe eines Weges noch dessen Festlegung durch die Signalquelle möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass das Multicastrouting prinzipbedingt die Wegefindung in entgegengesetzter Richtung – von der Senke1) zur Quelle – vornimmt. Aus den geschilderten Gründen bedarf es besonderer Maßnahmen zur Implementierung disjunkter Wege. Im Folgenden wird darauf eingegangen, welchen Ansatz der SWR verfolgt.

Notwendigkeit der disjunkten Wegeführung
Wie bereits erwähnt bedarf es der disjunkten Wegeführung, um die Signalredundanz an der Senke zu ermöglichen. Die Signalredundanz trägt zum unterbrechungsfreien Betrieb bei. Warum wird diese weitergehende medienspezifische Redundanzform gebraucht? Ist die übliche IT-Redundanz in einem IP-Netz nicht ausreichend?

Die Audio- und Videoströme der IP-basierten Live-Produktionen gehören zu der Art der sogenannten unelastischen Verkehre (Echtzeitkommunikation). Bei dieser Verkehrsart trägt nicht nur die Korrektheit der empfangenen Daten, sondern auch ihre rechtzeitige Ankunft an der Senke zu einem fehlerfreien Anwendungsverhalten bei. Die sogenannten elastischen Verkehre sind dagegen weniger zeitsensitiv (z. B. Dateientransfer). Das am meisten bei einer IP-Übertragung eingesetzte Transportprotokoll TCP [5] stellt die Korrektheit der empfangenen Anwendungsdaten sicher. Sein Verhalten kann aber die Periodizität der Datenankünfte stören. Da TCP einen Rückkanal zwischen der Senke und der Quelle benötigt, wird es nur bei einer Unicast-Kommunikation verwendet. Zum einen dulden die unelastischen AES67-Verkehre keine größeren Störungen der Periodizität der Datenankünfte. Zum anderen werden sie per Multicast-Kommunikation übertragen, die keinen Rückkanal aufweist. Deshalb wird dafür das prinzipbedingt rückkanalfreie Transportprotokoll UDP [6] verwendet, das aber keine Mechanismen zur Sicherstellung des korrekten Datenempfanges aufweist. Dafür beeinflusst es die Periodizität der Datenankünfte nicht.

Fällt eine Netzwerkkomponente aus, wird der betroffene Verkehr in einem redundant aufgebauten Netz durch die anderen Knoten übertragen. Bei diesem Schwenk geht i.d.R. eine geringe Anzahl von IP-Paketen verloren. Da das UDP die verlorenen Daten nicht wiederherstellen kann, wird die Anwendung mit solchen Datenverlusten direkt konfrontiert.In einem regulären Netzwerkbetrieb mit einer stark ausgebauten LWL-Infrastruktur kann es durch optische Gründe zu einem unregelmäßigen, sehr geringen Verlust von IP-Paketen kommen, der für elastische Verkehre durch das dafür eingesetzte TCP i. d. R. zu keinem Anwendungsdatenverlust führt. Auch in diesem Fall begegnet aber eine UDP-basierte Anwendung den entsprechenden Datenverlusten.

Aus diesen beiden Gründen wird für UDP-basierte AES67-Ströme eine Signalredundanz an der Senke empfohlen, deren Qualität im Fehlerfall durch eine disjunkte Wegeführung der Signale sichergestellt wird.

Grundsätzliche Ansätze für die disjunkte Wegeführung
Grundsätzlich sind zwei Ansätze möglich. Zum einen ist es denkbar, zwei physisch separate Netzinfrastrukturen2) für die Signalführung zu installieren. Zum anderen ist es möglich, in ein und demselben physischen Netz separate Wege anzulegen und somit einen netzkonvergenten Ansatz zu verfolgen. Der Vorteil der physischen Netzseparierung liegt in der einfacheren Konfiguration des jeweiligen Netzes. Des Weiteren ist das Zusammenlaufen der beiden Signale in einem Netzknoten aufgrund von z. B. Konfigurationsfehlern grundsätzlich nicht möglich. Beim Ausfall einer Komponente wird automatisch ein anderer Weg gefunden, der weiterhin disjunkt zu seinem redundanten Weg im jeweils anderen physischen Netz ist. Die Lösung ist funktional robust. Der wesentliche Nachteil entsteht durch den notwendigen hohen zusätzlichen Investitions- und Betriebsaufwand. Beim konvergenten Ansatz können diese zusätzlichen Aufwände sehr stark reduziert werden. Die damit zu verfolgende Ressourceneffizienz wird allerdings durch eine konfigurativ komplexere Implementierung – im Vergleich zum Ansatz der physischen Netzseparierung – erreicht. Die eventuelle Abnahme der Robustheit erscheint im Spannungsfeld zwischen Betriebsstörungswahrscheinlichkeit und Ressourceneffizienz vertretbar zu sein.

Im Folgenden wird das netzkonvergente SWR-Konzept der disjunkten Wegeführung für die IP-basierte Hörfunkproduktion vorgestellt.

Techniken für die konvergente disjunkte Wegeführung
Um die disjunkte Wegeführung für AES67-Verkehre in ein und demselben physischen Netz realisieren zu können, bieten sich für eine örtlich verteilte Studioinfrastruktur in erster Linie drei Alternativtechniken an:

  • Virtualisierung des Routings und der Weiterleitung (VRF: Virtual Routing and Forwarding) [7]: In ein und demselben Netz werden dabei mehrere voneinander abgekapselte Routingprozesse installiert. Für die Routingkommunikation und die Weiterleitung des Datenverkehrs werden die dafür notwendigen Ports konfigurativ in jedem betroffenen Netzwerknoten explizit festgelegt.
  • Multiprotocol Label Switching (MPLS): Diese Technik wird in einem verbindungslosen IP-Netz eingesetzt, um die Datenpakete verbindungsorientiert zu übertragen. Es werden dabei Pfade aufgebaut, die den Weg der Datenpakete durch das Netz bestimmen [7].
  • Quellenbasiertes Routing: Bei dieser Technik wird der Weg durch das Netz teilweise oder komplett im Datenpaket selbst hinterlegt. Diese Steuerinformationen werden in jedem Netzwerknoten aus dem entsprechenden Feld des Datenpaketes ausgelesen und ausgewertet.

Eine Lösung mit statisch angelegten Routen wird hier nicht betrachtet, weil sie in einem Unternehmensnetz verständlicherweise ineffizient und fehleranfällig ist. Auf mögliche SDN-Lösungen (Software Defined Networking) wird – aufgrund ihres revolutionären Ansatzes, ihrer oft spezifischen Anwendung, ihres teilweise nicht ausreichenden Reifegrades und der damit verbundenen hohen Einführungsbarriere – hier ebenfalls nicht eingegangen

Realisierung im SWRTechnikauswahlDie entscheidungsrelevanten Kriterien für die Auswahl der zu verwendenden Technik waren hauptsächlich die aktuelle Verfügbarkeit in der eingesetzten Soft- bzw. Hardware, die anwendungsgerechte Funktionalität und die Effizienz.

Die moderne und vielversprechende Version des quellenbasierten Routings Segment Routing [8] war zum Entscheidungszeitpunkt und darüber hinaus in den im SWR verwendeten Netzwerkkomponenten für AES67-Zwecke nicht durchgängig verfügbar. Aus funktionaler Sicht ist die Multicast-Fähigkeit bei Segment Routing nicht nativ vorhanden. Deshalb wurde das quellenbasierte Routing nicht weiter berücksichtigt. Im Allgemeinen wären die anderen beiden Technikarten im SWR flächendeckend realisierbar. Die MPLS-basierte Lösung weist jedoch ebenfalls keine native Multicast-Funktionalität auf. Es bedarf daher Workarounds, um sie zu realisieren.

Unter der Effizienz der Lösung wird hier der Wirtschaftlichkeitsaspekt, d. h. der Nutzen im Verhältnis zu notwendigen Investitionen und allen Aufwänden, verstanden. Für eine MPLS-basierte Lösung bedarf es gegebenenfalls einer gesonderten Lizenzierung (Investition). Sie ist architektonisch und konfigurativ komplex. Die Multicast-Workarounds verkomplizieren zusätzlich die Realisierung. Da die Technik für die SWR-Mitarbeiter neu ist, wären entsprechende Personalentwicklungsmaßnahmen notwendig. Aufgrund der komplexen Architektur (durch die zusätzliche MPLS-Schicht) ist gegebenenfalls mit einem erhöhten Aufwand im Entstörungsfall zu rechnen.

Eine VRF-basierte Lösung kann im SWR-Netz dagegen ohne zusätzliche Investitionen realisiert werden. Die Technik und ihre Anwendung für die disjunkte Wegeführung wurde bereits in einem sogenannten IP-basierten SWR-Programmverbreitungsnetz vor einigen Jahren erfolgreich etabliert. Dementsprechend sind keine zusätzlichen Personalentwicklungsmaßnahmen notwendig. Die Multicastfähigkeit ist nativ vorhanden. Es sei anzumerken, dass bei diesem Ansatz eine automatische disjunkte Wegeführung nicht möglich ist. Sie muss manuell angelegt werden. Das Letztere ist auch bei der im SWR realisierbaren MPLS-Lösung der Fall. Eine MPLS-Lösung mit einer automatischen disjunkten Wegeführung ist im SWR aufgrund der eingesetzten Netzwerktechnik nicht flächendeckend realisierbar.

Für die endgültige Entscheidung bzgl. der zu verwendenden Technik wurden Teststellungen aufgebaut. Es wurden die Implementierbarkeit und die Funktionalität der VRF- und der MPLS-basierten Lösungen im Kontext der IP-basierten Hörfunkproduktion untersucht und überprüft. Die praktisch erzielten Ergebnisse bestätigten die Vorauswahl der VRF-Technik für die Realisierung der disjunkten Wegeführung im SWR-Netz.

Zusammenfassend ist das SWR-Konzept der disjunkten Wegeführung für die örtlich stark verteilte Hörfunkinfrastruktur somit netzkonvergent und VRF-basiert.

Topologie
Abbildung 1 zeigt die Topologie der disjunkten Wegeführung für die IP-basierte Hörfunkproduktion im standortübergreifenden SWR-Netz. Die Darstellungen der Standortnetze sind auf das – zum Verständnis der Erläuterungen – Notwendige reduziert. Die rot und blau dargestellten Verbindungen symbolisieren den jeweiligen disjunkten Transportweg der IP-paketierten Hörfunksignale. Die tatsächliche physische Topologie weist einen viel stärkeren Vermaschungsgrad auf. Die Darstellung des Hauptstandortes A deutet an, dass im SWR zwei Switch-Plattformen eingesetzt werden. Ihre Merkmale und Konfigurationen unterscheiden sich. Die unterschiedlichen Switch-Plattformen werden gemäß ihrem – außerhalb der IP-basierten Hörfunkproduktion liegenden – Einsatzzweck verwendet und bilden jeweils hardwarehomogene Netzsegmente. Beide Switch-Plattformen unterstützten VRF und sind für die IP-basierte Hörfunkproduktion geeignet.

Die WAN-Verbindungen zwischen den Standorten sind Layer3)-2-transparent. Das bedeutet, dass die geographisch als WAN eingestuften Strecken funktional als LAN-Strecken in Erscheinung treten. Die Anbindung der Hauptstandorte ans WAN findet über die jeweiligen Core-1- bzw. Core-2-Switche statt. Die entsprechenden Core-Switche sind im WAN in einem Dreieck verbunden. Der örtliche Verlauf der WAN-Leitungen für den A- und den B-Weg ist ausreichend verschieden, um den Einfluss eines physischen Leitungsschadens auf die Hörfunksignale zu eliminieren.

Das SWR-Netz weist eine konventionelle Drei-Schichten-Architektur auf, bestehend aus der Core-, Distribution-, und Access-Schicht. In beiden Switch-Plattform-Bereichen ist gegebenenfalls - aufgrund einer lokationsbezogen begrenzten physischen Verfügbarkeit der Switchports und der Gebäudeverkabelung – eine zusätzliche Aggregationsschicht notwendig. Dies ist in der Abbildung 1 bei Plattform-B exemplarisch angedeutet. Die Dimensionierung der Aggregationsschicht beeinträchtigt die Netzleistungsfähigkeit nicht.Innerhalb eines Hauptstandortes wird der jeweilige disjunkte Weg bis in den relevanten Hörfunk-Access-Switch hinein bedarfsgetrieben eingerichtet. Bei einer konfigurativen Bildung eines logischen Switches aus zwei physischen Distributionsswitchen, was mit einer Link-Bündelung einhergeht, ist die disjunkte Wegeführung im Access-Bereich aber nicht möglich. In den diesbezüglichen Fehlerfallszenarien wurden in einer Testreihe stets Datenverluste auf IP-Paketebene festgestellt. Die dadurch verursachten Hörfunksignalverzerrungen wurden durch Pegel- und Klirrfaktormessungen auf Signalebene bestätigt. Die disjunkte Wegeführung sollte deshalb außerhalb der Funktion eines logischen Switches realisiert werden.

Die Anbindung eines Regionalstudios findet über jeweils zwei WAN-Strecken an die WAN-Distributionsswitche eines Hauptstandortes statt. Auch hier gilt, dass der geographische Verlauf der WAN-Leitungen für den A- und den B-Weg ausreichend verschieden ist. An welchem Hauptstandort ein Regionalstudio angebunden ist, variiert je nach der Regionszugehörigkeit des Letzteren. Sollten Hörfunkinstallationen unterschiedlicher Regionalstudios miteinander Daten austauschen, so geschieht dies entsprechend über einen oder zwei Hauptstandorte.

Die Gesamtdatenrate eines IP-basierten Mono-Hörfunkkanals beträgt ca. 1,5 Mbit/s (24-Bit-Wertebereich, 48-kHz-Abtastung, 48-Audiosamples-Paketierung, IP/UDP/RTP-Paketoverhead von 40 Bytes). Die Übertragungsgeschwindigkeiten im Corebereich und die Anbindungsgeschwindigkeiten der Distributions- und Aggregationsbereiche betragen 100 Gbit/s. Durch Linkbündelungen könnten höhere Datenraten realisiert werden. Die Regelanbindung der Access-Bereiche variiert je nach Bedarf zwischen 10 und 40 Gbit/s. Die WAN-Strecken weisen die Übertragungsdatenraten von 10 Gbit/s (Hauptstandorte) und 1 Gbit/s (Regionalstudios) auf. Höhere Datenraten können bei Bedarf beim Regionalnetzanbieter beauftragt werden.

Routing und Weiterleitung
Die Konfiguration der disjunkten Wegeführung besteht im Wesentlichen in einer Layer-3-Virtualisierung des Routingprozesses in einem VRF-Kontext und in einer Layer-2-Virtualisierung der Datenübertragung durch 802.1Q-Enkapsulierung (VLAN) [10]. Der VRF/VLAN-Kontext ist in Abbildung 2 dargestellt.In den Core- und Distributionsswitchen wird ein entsprechender VRF-Kontext
(VRF A-Weg, VRF B-Weg) erzeugt. Auf ausgewählten Switchports wird ein zusätzliches logisches Interface erzeugt und dem jeweiligen VRF-Kontext zugeordnet. Innerhalb des VRF wird ein Routingprozess etabliert. Die Routingprotokollkommunikation findet nur innerhalb der zusammengehörigen VRF-Kontexte statt. Der Verkehr eines VRF-Kontextes (des A- bzw. des B-Weges) wird durch ein dem Kontext zugewiesenes VLAN übertragen. Auf diese Weise entstehen innerhalb der physischen Netztopologie zwei logische Netze (A- und B-Weg), die nur vorgegebene und jeweils disjunkte Teile der besagten Topologie zur Verbreitung der Hörfunksignale nutzen. Der sonstige Steuer- und Datenverkehr wird davon logisch getrennt über das
VRF Default übertragen, das sich auf die gesamte physische Netztopologie erstreckt.

Wie Abbildung 1 zu entnehmen ist, stehen in einem Access-Switch beide Wege zur Verfügung. Zum einen wird durch diese Signalredundanz die Fehler-Resilienz bei bestimmten Zweifachfehlern im Netz etwas erhöht. Für den Schwenk des Endgeräts bedarf es allerdings eines manuellen Eingriffs. Zum anderen erlaubt diese Konstellation eine gegen Fehler im Netz robustere Verwendung von Mediengeräten, die nur eine Netzwerkschnittstelle besitzen.

Fazit
IP-Netze werden in einem zunehmenden Ausmaß Teil von Live-Produktionssystemen. Die IP-Konnektivität als eine Konsequenz der IP-basierten Live-Produktion trägt zu deren Vorteilen bei. Die konventionellen Netzinstallationen weisen aber – prinzipbedingt – nicht die benötigte anwendungsgerechte Funktionalität auf. Des Weiteren kann die mediengerechte Qualität der Signalübertragung nicht ohne weiteres erwartet werden. Für den Fall einer IP-basierten Hörfunkproduktion wurde hier die SWR-Lösung für die notwendigen netzseitigen Erweiterungen beschrieben. Aufgrund eines starken Dezentralisierungsgrades der Hörfunkstudios wurde dabei der netzkonvergente Ansatz verfolgt.Das erarbeitete und überprüfte Konzept ist ein wesentlicher Beitrag zum Aufbau längerfristiger Erfolgspotenziale des SWR. Damit werden innovative Formen der Produktionstechnik, -prozesse und -arbeitsweisen ermöglicht. Örtliche und ressourcenbedingte Beschränkungen können ihre Wirkung verlieren. Die immer stärker werdende strategische Enabler-Rolle der IT wird dadurch deutlich.

Danksagung
Die Autoren möchten sich bei Christian Grodde und Dr. Harald Simon (Computacenter) für die fachliche Unterstützung bedanken. Für die hörfunkspezifische und messtechnische Begleitung sowie das Korrekturlesen danken die Autoren Marcel Malchau (SWR). Des Weiteren gilt der Dank Bernd Hänsch (SWR) für die organisatorische Unterstützung dieses Vorhabens

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