FKT: Die Forschung zu Künstlicher Intelligenz (KI) hat in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht. Woran liegt das?
Prof. Dr. Sebastian Stober: Hier sind drei wichtige Faktoren zu nennen. Erstens liegen mehr Daten in digitalisierter Form vor – damit ist Futter zum Training vorhanden. Zweitens haben wir Fortschritte in der Rechentechnik gemacht und können Daten schneller verarbeiten. Die dritte Säule ist die methodische Weiterentwicklung. Die Verfahren – Deep Learning als Stichwort – haben sich enorm verbessert. Hinzu kommt: Diese Entwicklungen verlaufen nicht linear, sondern exponentiell.
FKT: Welche KI-Verfahren sind für die Medienproduktion relevant?
Prof. Dr. Sebastian Stober: Die klassischen Einsätze von KI in der Medienproduktion liegen im Bereich der Klassifikation – also Verschlagwortung, Analyse von Medien und Kuratierungen. In vielen Szenarien kann KI Prozesse automatisieren, die vorher händisch gemacht werden mussten. Aktuell sehen wir, dass zunehmend auch der Produktionsprozess selbst von der KI verändert wird. Mit noch mächtigeren Werkzeugen kann ich heute Sachen manipulieren, relativ schnell prototypen und editieren. Durch die neuen KI-Werkzeuge verändern sich Workflows sehr rasant.
FKT: Welches Potenzial hat KI für kreative Prozesse, für Produktivität und für die Einführung neuer Dienste?
Prof. Dr. Sebastian Stober: Großes Potenzial sehe ich in der Automatisierung von Tätigkeiten bei kreativen Prozessen – die vielleicht gar nicht so kreativ sind, aber zum Handwerk dazugehören. Zudem gibt es mit KI neue Optionen, Hintergründe, Gesichter etc. zu verändern. Dadurch entstehen vielfältige neue Möglichkeiten und ganz andere Workflows.
FKT: Mit Auswirkungen auf die Produktivität...
Prof. Dr. Sebastian Stober: In der Tat, weil ich mich als Kreativer mehr darauf konzentrieren kann, was ich
eigentlich machen will.
FKT: Welche neuen KI-basierten Dienste sind in der Medienproduktion vorstellbar?
Prof. Dr. Sebastian Stober: Gerade die Vorproduktion kann durch generative Modelle erheblich beschleunigt werden. Eine Szene lässt sich in einem Skript textuell beschreiben, um mittels KI eine automatische Vorvisualisierung zu erzeugen und zu prüfen: Funktioniert das, muss ich noch etwas ändern und welche Optionen habe ich? Das könnte den Produktionsprozess erheblich forcieren. Auch der Ersatz von Stand-Ins (Lichtdoubles) durch digitale Charaktere ist ein Beispiel für neue KI-basierte Dienste in der Medienproduktion.
FKT: Sie haben auf dem Hamburg Open-Panel von „kreativer KI“ gesprochen. Ist das nicht ein
Widerspruch in sich?
Prof. Dr. Sebastian Stober: Das kommt darauf an, wie man Kreativität definiert. Ich denke, KI kann kreativ sein. Kreativität bedeutet, Sachen neu miteinander verbinden, die so vorher nicht miteinander zu tun hatten. Für mich heißt Kreativität, eine neue Perspektive einzunehmen – das kann KI durchaus selbstständig. Insofern kann sie Inspiration für neue Ansätze sein. Noch deutlicher wird dies im Bereich der Kunst. Betrachte ich Kunst in ihrer Urform, dann habe ich immer jemanden, der damit etwas zum Ausdruck bringen möchte. Das macht Künstliche Intelligenz nicht. KI kann einen Soundtrack für ein Heimvideo im Hintergrund erzeugen. Das ist Gebrauchskunst – ohne den Anspruch, etwas in sich Schönes zu kreieren oder eine bestimmte Aussage als Künstler zu formulieren.
FKT: Weil KI kein Einfühlungsvermögen hat, keine Intuition, keine Empathie?
Prof. Dr. Sebastian Stober: Ich würde der KI nicht unterstellen, dass sie eine Selbstwahrnehmung hat und deswegen diese Ziele verfolgen kann.
FKT: Welche Aspekte reizen Sie aktuell in der KI-Forschung?
Prof. Dr. Sebastian Stober: Ich bin besonders interessiert an „human in the loop“-Szenarios. Die Künstliche Intelligenz arbeitet nicht für sich allein, sondern es ist immer ein Mensch involviert. Die KI fabriziert etwas, der Mensch schaut sich das an und meldet zurück. Damit entsteht ein Team, das sich ergänzt. Das kann man in vielen Bereichen sehen, zum Beispiel auch in der Medizintechnik, in der Radiologie, wo Ärzte mit einer KI arbeiten. Arzt und KI sind nicht kreativ unterwegs, aber sie müssen zusammen ein Problem lösen. Diese Zusammenarbeit ist Kern meiner Forschung. Mit den „human in the loop“-Szenarien wird deutlich, welches Potenzial KI als Ergänzung und Verstärkung der Fähigkeiten des Menschen hat – und nicht als Ersatz. Ich betrachte Künstliche Intelligenz als Chance. Natürlich könnte man KI auch als Gefahr sehen – wichtig ist, darüber zu reden.
FKT: Welche Gefahren könnten von einer sich „verselbständigenden“ KI ausgehen?
Prof. Dr. Sebastian Stober: Ich sehe weniger das Problem darin, dass KI irgendwann zu clever oder zu mächtig sein könnte. Eine Gefahr besteht eher auf gesellschaftlicher Ebene. Es entscheidet jemand darüber, wie KI eingesetzt wird. Die Debatte – Roboter oder KI bedrohten Jobs – geht somit in die falsche Richtung. Es sind Menschen, die Entscheidungen zur Automatisierung treffen und dafür sorgen, dass bestimmte Jobs oder Tätigkeiten gefährdet werden. Wir müssen als Gesellschaft eine Diskussion darüber führen und Rahmenbedingungen dafür schaffen, bestimmte Prozesse nicht zu automatisieren. Nicht unbedingt im Mediensegment, aber etwa in Bereichen wie der Altenpflege. Überall dort, wo Mensch-zu-Mensch-Verhältnisse bestehen, möchte ich den Menschen nicht durch eine KI ersetzen. Das ist eine klare Grenze für mich.
Wir haben eine große Chance, durch die KI einen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Uns selbst mehr bewusst zu werden, was es heißt es, Mensch zu sein. Was es ausmacht, menschlich zu sein. KI ist nicht unser Feind. KI kann aber Beschleunigerin von Problemen sein, wenn wir sie so einsetzen, dass sie Schaden anrichten kann.
FKT: Wo kommt KI aktuell an ihre Grenzen?
Prof. Dr. Sebastian Stober: Häufig bei edge cases – also bei Fällen, die nicht so häufig auftreten. Dadurch existieren sie nicht in den Trainingsdaten, sind aber trotzdem relevant. Ein Problem sind auch Datensätze, die nicht repräsentativ sind, schiefe Datenlagen haben wir überall. Durch den Hype um KI wird sie vielerorts auch blind eingesetzt, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Hinzu kommen methodische Grenzen: zu wenig Daten oder starkes Rauschen in den Daten. KI ist längst noch nicht die eierlegende Wollmilchsau.
FKT: Was wird in der Medienproduktion mittel- bis langfristig mit KI möglich sein?
Prof. Dr. Sebastian Stober: Inhalte werden sehr stark anpassbar – mit personalisierter Werbung etwa auf der Distributorseite, aber auch durch den Benutzer selbst. Er kann mit den Inhalten in Interaktion treten und sie verändern. Auch in den Bereichen Virtual Reality und Augmented Reality bieten sich KI-Verfahren an. Ich stelle mir beispielsweise eine Mystery-Serie vor, in die der Nutzer virtuell in die Szene hineingeht und neue Perspektiven erfährt. Dadurch ergibt sich eine ganz neue Immersion, fast in Richtung Computerspiel. Es existiert immer noch der Handlungsstrang, aber ich bin viel mehr involviert. Da geht künftig richtig viel.
FKT: Herr Prof. Dr. Stober, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Martin Braun