Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Live- Video- und Datennetzwerk, das bei der Fußball-WM 2018 in Russland die zwölf WM-Stadien über teils riesige Strecken mit dem IBC in Moskau verband. Ein Erfahrungsbericht – von der Projektplanung bis zur Implementierung.
Von Moskau nach Sotschi im Süden, Sankt Petersburg im Norden, Jekaterinburg im Osten, Kaliningrad im Westen nach Moskau und wieder zurück – die Strecken, die das Live-Video- und Datennetzwerk bei der FIFA WM 2018 in Russland zurücklegen musste, waren teils enorm. Dementsprechend langwierig waren auch die Vorbereitungen für dieses Großprojekt beim Videospezialisten VIDI: Bereits über zwei Jahre vor dem Eröffnungsspiel am 14. Juni 2018 in Moskau begannen die ersten Verhandlungen und technischen Planungen.
Die technischen Anforderungen der Weltfußballverbands wurden durch Host Broadcast Services (HBS) vorgegeben, die die FIFA-Events seit Jahren als Host Broadcaster begleiten.
Nach den ersten Verhandlungsrunden wurde schnell klar, dass die Anforderungen der FIFA in Russland im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung vergeben werden müssen. Als Gewinner dieser Ausschreibung ging im Herbst 2016 die russische Firma Synterra Media (SM) hervor, die wiederum im März 2017 einen Vertrag mit VIDI schloß. Vertragsgegenstand war der Betrieb des sogenannten Venue Contribution Network, das die Übertragung aller Video-, Audio- und Datensignale aus allen zwölf WM-Stadien und dem International Broad cast Center (IBC) in Moskau vorsah. Dabei sollte eine Verfügbarkeit von 99,99 % gewährleistet werden.
Die Infrastruktur für ein solches Venue Contribution Network wird in der Regel durch ein nationales Telekommunikationsunternehmen zur Verfügung gestellt. Bei der Fußballweltmeisterschaft in Russland wurde dieses, auf Ethernet Layer 1 basierende WDM Netzwerk, von MegaFon bereitgestellt. MegaFon stellte dazu von jedem WM-Stadion 7 x 10 Gbit/s auf zwei verschiedenen Leitungswegen zur Verfügung.
Die Hauptaufgabe des Venue Contribution Network besteht darin, die Übertragung aller Signale des Host Broadcasters sowie der unilateralen Signale der jeweiligen weltweitenRechteinhaber sicherzustellen.
Die Einrichtung und der Setup des Netzwerks war eine erneute Mammutaufgabe. Zur Ausfallsicherung wurde eine aufwändige Netzwerk-Topologie mit der Vorhaltung doppelter Signalwege eingerichtet. So konnte im Fall der Fälle per Hitless-Switching-Technologie auf Ersatzwege ausgewichen werden, ohne dass die TV-Zuschauer davon etwas mitbekamen.
Die Aufgabe von VIDI war das Design der Adaptationstechnik für das Venue Contribution Network, die Bereitstellung der dafür notwendigen Hardware sowie die Gewährleistung des Betriebs mit einem Team bestehend aus Technikern von VIDI und SM. Dafür wurde ein Projektteam aus erfahrenen Projektmanagern und Veranstaltungstechnikern zusammengestellt. Die Hauptverantwortlichen in diesem Projektteam verfügten über Erfahrungen aus drei bis vier Fußballweltmeisterschaften sowie zahlreichen anderen Sportevents (wie etwa der Fußballeuropameisterschaft, der Frauenfußballweltmeisterschaft, um nur einige zu nennen).
Im Rahmen des Confederations Cup im Juni/Juli 2017 wurde das komplette WM-Konzept und das Venue Contribution Network unter realen Wettbewerbsbedingungen zwischen dem International Broadcast Coordination Center (IBCC) in St. Petersburg und fünf WM Stadien auf Herz und ieren geprüft. Alle von HBS geforderten Spezifikationen wie z. B. UHD, 3G-SDI sowie HD-SDI wurden während des Confederations Cup erfolgreich getestet und über das von MegaFon zur Verfügung gestellte Netzwerk übertragen.
Im Vorfeld der Fußball-WM wurde von Ende Januar bis Mitte März 2018 bei VIDI in Darmstadt die komplette Adaptationstechnik aufgebaut, getestet, konfiguriert und in ein Flight Case eingebaut. Ende März 2018 wurden insgesamt zwölf Techniker von SM sowie zahlreiche freiberufliche Mitarbeiter und Techniker der VIDI auf die speziellen Anforderungen des Venue Contribution Network geschult.
Der Rollout des gesamten Equipments startete Anfang Mai 2018, dabei wurden insgesamt 36 Flight Cases mit einem Gesamtgewicht von 7,5 t sowie 8 Rauboxen mit einem Gesamtgewicht von 3,5 t auf dem Landweg von Darmstadt nach Russland transportiert. Der Transport erfolgte aus Sicherheitsgründen mit mehreren LKWs, um eine fristgerechte und vollständige Anlieferung im IBC in Moskau sowie an allen WM-Stadien zu erreichen.
Neben dem Transport der notwendigen Hardware bestand eine weitere Herausforderung darin, über 35 Mitarbeiter an einem bestimmten Tag an zwölf verschiedenen Orten in Russland zur Verfügung zu stellen. Alle diese logistischen Herausforderungen erforderten ein hohes Maß an Planung und Erfahrung.
VIDI hat die dafür notwendige Adaptionstechnik vorab in allen zwölf Spielstätten, sowie im International Broadcast Centre (IBC) in Moskau installiert und auf Herz und Nieren getestet.
Im IBC im Crocus Expo International Exhibition Centre in Moskau wurden die Audio- und Videodaten der Kameras aus den Stadien empfangen, verarbeitet und weitergeleitet.Oder anders ausgedrückt: Jedes Tor, jedes Zuspiel und jede Parade muss durchs IBC. Zusätzlich wurden umfangreiche File-Services über diese Verbindungen realisiert. Eine sehr anspruchsvolle Aufgabe für die Ingenieure von VIDI, die für die Signalübertragungen aus den einzelnen Stadien zum IBC und für die weitere weltweite Verteilung zu vielen Rechteinhabern verantwortlich waren.
Die im IBC aufgebaute Video- und Daten-Adaptionstechnik bestand aus 20 MD8000- sowie zwölf MDP3020-Geräten von Media Links mit insgesamt 804 Video Ports und 128 1G Datenports. Die Videosignale wurden in den Formaten 1080p (3G), UHD (4K) und sogar in Super Hi-Vision (8K) übertragen.
Die netztechnische Anbindung erfolgt über 104 redundant eführt 10G-Verbindungen. Alle Videosignale sind Hitless Protected und JPEG2000-komprimiert. Auch die10G Datenservices waren Hitless Protected. Der Aufbau der für den Betrieb des Venue Contribution Network notwendigen Technik startete in Moskau im IBC am 10. Mai 2018. Die Übergabe an HBS erfolgte am 22. Mai 2018, danach startete HBS umfangreiche Tests um die Funktionalitäten im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft ausgiebig zu testen.
In dieser Phase wurde auch das VIDI Network Management System (VIDI NMS) implementiert und in die anstehenden Tests einbezogen. Das in Eigenregie ntwickelte VIDI NMS stellt während und vor der Fußballweltmeisterschaft die Konfiguration, den Betrieb und die lückenlose Überwachung des Venue Contribution Network sicher.
Qualität und Sicherheit der Lösung standen bei diesem Netzwerk-Design wie immer an erster Stelle. Deshalb war das Netzwerk Management System (NMS) auch in Russland das zentrale Tool zur Überwachung aller Signal-Verbindungen und zur Sicherstellung der Übertragungsqualität. Die detaillierten Auswertungen und Netzanalysen des Systems waren schon während der Einrichtungen des Netzwerks eine wertvolle Hilfestellung und sind es natürlich umso mehr in den „heißen“ Phasen des Live-Betriebs. Im IBC in Moskau sowie in den Netzüberwachungsräumen der Spielorte wurden dazu jeweils entsprechende Zugänge zum NMS Monitoring eingerichtet. Die VIDI-Ingenieure hatten damit von jedem dieser Standorte aus Zugriff auf die Überwachungsergebnisse und konnten das Netzwerkhierüber managen.
Insgesamt wurden an jedem WM-Stadium 140 Video Ports bereitgestellt, um alle gängigen Videoformate inkl. Super Hi-Vision (8K) zu übertragen. Demgegenüber standen – wie zuvor erwähnt – über 800 Video Ports am IBC in Moskau, um alle Videosignale dort unterbrechungsfrei zu empfangen.
Ergänzend betreuten die Spezialisten von VIDI noch einige weitere Contributions- und Servicestrecken von und zum IBC. So zum Beispiel zum Roten Platz in Moskau, an dem sich einige Outside Presentation Studios befinden. Diese Anbindung für Video- und Datenanwendungen wurde als 9 x 10G Verbindung realisiert. Und die Strecke wird redundant geführt, was bedeutet, dass in Summe 18 x 10G bereit stehen. Die Broadcaster bekamen dabei geschützte 10G- und 1G-Services zur Verfügung gestellt.
Die Teams an den zwölf Spielstätten bestanden aus jeweils einem Techniker des lokalen Netzbetreibers und Partners CSJC Synterra Media sowie zwei Ingenieuren von VIDI. An jedem Spielort standen für die Broadcaster jeweils 140 Ports für Video in allen Formaten sowie 10 x 1G Datenservices zur Verfügung.
Die Anbindung an das IBC in Moskau erfolgte jeweils über sieben redundant geführte 10G-Netzwerkleitungen. So waren z. B. anspruchsvolle Power-Down-Szenarien an den Venues zu bestehen, während derer der Strom für die Adaptionstechnik mindestens 15 Minuten aus eigener USV bereitgestellt werden musste.
Die Audio- und Videodaten der Kameras in den Stadien wurden im IBC empfangen und dort verarbeitet und weitergeleitet. Darüber hinaus wurden umfangreiche Dateidiensteüber diese Verbindungen realisiert. Dies stellte eine bedeutende Verantwortung für die Ingenieure dar, die mit der Abwicklung der von den einzelnen Stadien an die IBC gesendeten Signalübertragungen beauftragt sind und diese rund um den Globus an die vielen Rechteinhaber weiterleiten. Allein in Russland müssen die Signale enorme Distanzen durchqueren. Zum Beispiel ist die Entfernung von St. Petersburg am Finnischen Meerbusen bis Sotchi am Schwarzen Meer fast 2.000 km in einer geraden Linie.
Doch trotz der teils enormen Distanzen ist bei der FIFA WM 2018 keine Millisekunde an Content verloren gegangen. Und getreu dem Motto von Sepp Herberger „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ arbeitet das Team von VIDI schon heute mit Hochdruck an den Vorbereitungen für die nächsten Großevents: Die Fußball-WM der Damen in Frankreich (Juni 2019) und die Rugby-WM in Japan (ab September 2019).