Es ist die große Frage, die derzeit in allen Medienhäusern diskutiert wird: Wie verändert sich die Welt aufgrund von COVID-19? Remote-Integration und Remote-Produktion werden angesichts der Coronavirus-Krise noch wichtiger, davon ist Sony-Manager Claus Pfeifer überzeugt. FKT sprach mit ihm über Umstellung auf IP-basierte Produktion, über neue Cloud-Dienste, Künstliche Intelligenz und über Produktneuheiten, die das Unternehmen eigentlich auf der – abgesagten –Fachmesse NAB vorstellen wollte.
Herr Pfeifer, mehr als 100 Studios und OB-Trucks nutzen bereits IP-Live-Produktionssysteme von Sony. Worauf führen Sie diese Nachfrage zurück?
Es wird immer offensichtlicher, dass IP für Workflow-Verbesserung sorgt. Gerade in der heutigen Situation gewinnen Remote-Produktion und Remote-Integration (REMI) weiter an Bedeutung, nicht zuletzt auch mit Blick auf die Einsparung von Kosten. Zudem lässt sich mit IP-Technologie der Workflow innerhalb eines Fernsehsenders verbessern.
Ressourcen werden effizienter genutzt…
In der Tat. Vorhandene Ressourcen besser zu nutzen und flexibler gegenüber Workflow-Veränderungen zu sein, sind die Anforderungen unserer Kunden. Deshalb setzt Sony auch proaktiv auf die Entwicklung offener Standards, basierend auf ST 2110 und NMOS. Wir sind Mitglied der Joint Task Force on Networked Media (JT-NM) und der Advanced Media Workflow Association (AMWA).
Warum ist die Etablierung offener Standards wichtig?
Vor einigen Jahren hatten wir mit Network Media Interface (NMI) ein eigenes IP-Format entwickelt, das in Japan standardisiert ist und dort auch verwendet wird. In den USA und Europa fand NMI leider nicht diese Anerkennung– wir haben das zum Anlass genommen, mit den Standardisierungsgremien stärker zusammenzuarbeiten und dabei unsere Erfahrungen mit NMI einzubringen.
Welche Rolle spielen aktuell SDI-IP-Konverter bei der Umstellung auf IP?
SDI-IP-Konverter spielen noch immer eine große Rolle. Aktuell müssen viele bestehende Systeme (Legacy-Systeme) in ein neues IP-Konzept eingebunden werden. Soll zum Beispiel eine alte MAZ oder eine andere SDI-Quelle angeschlossen werden, dann muss von SDI in die 2110-Welt gewandelt werden. Unsere neuen Konverter ermöglichen in einem Arbeitsschritt dabei auch SDR-HDR-Konvertierung und Up- und Down-Konvertierung. Das Update ist ab September erhältlich, mit weiteren Lizenzen lassen sich zudem Audio-Delay und weitere Funktionalitäten realisieren.
Ein weiterer Trend sind Cloud-Plattformen wie Sonys Ci Media. Was gibt es hier Neues?
Aktuell ist die Medienproduktion in der Cloud wichtiger denn je. CI Media Cloud ist eine Lösung, um remote auf gemeinsame Inhalte zugreifen zu können. Ursprünglich für den Austausch großer Daten gemeinsam mit Sony Pictures entwickelt, setzen mittlerweile auch Broadcaster in Europa unsere Cloud-Lösung ein. Ab Mai gibt es innerhalb der CI Media Cloud ein neues Produkt: CI Catalog ermöglicht es, Asset-Daten noch besser darstellen und katalogisieren zu können.
Zudem haben Sie mit NavigatorX und Ci eine hybride MAM-Lösung entwickelt. Was verbirgt sich dahinter?
NavigatorX ist ein System für die Verbindung verschiedener Workflow-Lösungen in einer Produktionsfirma. Das kann hybrid sein, lokal installiert (on premise), aber auch im Datenaustausch mit der Ci Media-Plattform. Wichtiger Aspekt dabei: Innerhalb dieses hybriden Ansatzes können wir auch Inhalte mit Services auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) austauschen. Unsere KI-Lösung „Media Analytics Portal“ umfasst beispielsweise Dienste wie Sprachumwandlung (Speech-to-Text) und die Erkennung von Gesichtern, Objekten oder Logos.
An welchen weiteren KI-basierten Diensten arbeitet Sony?
Neben Offline-Anwendungen wie Speech-to-Text oder Gesichtserkennung treten Realtime-Anwendungen in den Vordergrund, beispielsweise im Sportbereich. Was dabei möglich ist, haben wir im Januar auf der CES Show gezeigt. Bei unserem Showcase hatten wir zwei Tischtennis-Spieler mit Kameras aufgenommen und ein sogenanntes Bone-Tracking erstellt. Damit konnten wir Position und Bewegungen der Sportler in ein 3D-Modell überführen und sie als Comic-Figuren im Hintergrund live mitlaufen lassen.
Szenenwechsel in den Bereich Kamera: Für VENICE stellt Sony im November die neue Firmware 6.0 vor. Was umfasst das Update?
Mit Version 6 unterstützen wir den Import des neuen Dateiformats Advanced Rendering Transform-Dateien (.art). Mit diesem neuen Format lassen sich vorher erstellte Looks live am Set in der VENICE erzeugen. Hierbei arbeiten wir mit unserem Partner Technicolor zusammen, der über ein Portal eine Look Library für unsere Kunden zur Verfügung stellen wird.
Mit Blick auf High Frame Rate sind mit der sechsten Firmware-Version nun 110 Bilder pro Sekunde in 3,8K-Auflösung möglich. Ein weiterer spannender Punkt: Heutzutage wird es immer wichtiger, auch für Social Media gegebenenfalls 9:16 oder 1:1 zu produzieren. Bislang wurde dies durch Parallel-Produktion gelöst, indem man zusätzliche Kameras um 90 Grad kippte und den 16:9-Sensor einfach hochkant laufen ließ. Bei VENICE haben wir aufgrund des hochauflösenden 3:2-Vollformatsensors nicht nur eine hohe horizontale, sondern auch eine hohe vertikale Auflösung. Das kann man wunderbar verwenden, um eine Produktion für Instagram in 9:16 mit nur einer Kamera umzusetzen. Mit den neuen Frame Lines, die wir in Version 6 einführen, sind direkt im Viewfinder das 9:16-Bild und das 16:9-Bild zu sehen.
Außerdem stellen Sie für das Camcorder-Modell FX9 die Firmware-Version 2.0 vor. Welche Funktionserweiterungen sind hinzugekommen?
Mit Version 2.0 kann die Kamera in 4K mit 50 bzw. 60 Vollbildern aufzeichnen. Das war vorher nur im Super35-Modus möglich. Zudem unterstützen wir volle DCI-Auflösung, also 4096 horizontale Bildpunkte sowie 180 Bilder pro Sekunde mit FF-Abtastung und HD-Aufzeichnung. Wichtiger Aspekt für beide Modelle: Die Updates für VENICE und FX9 stellen wir unseren Kunden kostenlos zur Verfügung.
Eine Einschätzung zum Schluss: Die NAB musste wegen der Coronavirus-Pandemie abgesagt werden, auch hinter anderen Veranstaltungen stehen Fragezeichen. Wie wird sich Sony strategisch in diesen Krisenzeiten aufstellen?
Das ist die große Frage, die in allen Häusern diskutiert wird. Wie verändert sich die Welt aufgrund von COVID-19? Remote-Integration und Remote-Produktion werden noch wichtiger. Mit unserer Partnerschaft mit Nevion, einem der führenden Anbieter für Netzwerk-Management im Produktionsbereich, sehen wir uns hier gut aufgestellt. Wir können ein Gesamtpaket anbieten – von Kameras und anderen Edge-Devices bis hin zu Netzwerkmanagement und entsprechenden Services. Immer wichtiger wird zudem das Thema 5G. Wir haben im vorigen Jahr zusammen mit der Deutschen Telekom beim Berlin-Marathon einen Testcase realisiert, wo wir einen Camcorder und eine Systemkamera über 5G eingebunden hatten – das ging sogar on air. 5G wird eine ganz wichtige Rolle spielen, um mit der neuen Situation umgehen zu können. Die Welt wird sich ändern. Die Produktionsarten werden sich ändern.
Herr Pfeifer, vielen Dank für das Gespräch.