Während aktuelle Mobilfunknetze insbesondere bei der Übertragung datenhungriger Videos schnell an ihre Grenzen kommen, verspricht die fünfte Mobilfunk-Generation 5G ganz neue Möglichkeiten. „Mit 5G Broadcast können hohe Datenvolumina aus einem überlasteten Mobilfunknetz direkt an geeignete Endgeräte verteilt werden“, sagt Manfred Reitmeier, Experte für Sende- und Verstärkersysteme bei Rohde & Schwarz. Ein einziger TV-Sender erreiche – mit einem High power high tower-Overlay als Ergänzung zur bestehenden zellularen Netzwerktopologie – eine Abdeckung von über 60 Kilometern Radius, sagt Reitmeier im FKT-Interview.
FKT: Herr Reitmeier, gemeinsam mit Partnern hat Rohde & Schwarz in dem Projekt 5G TODAY untersucht, wie eine großzellige Verbreitung von TV-Programmen auf Basis des LTE/5G Broadcastmodus FeMBMS möglich ist. Was waren die Ziele dieses Pilotprojekts?
5G Broadcast bietet grundsätzliche Vorteile wie eine hohe Videoqualität, niedrige Latenzzeiten und eine kostengünstige Verbreitung mit hoher Abdeckung. Deshalb sollte in erster Linie die Konvergenz zwischen Broadcast- und Mobilfunk-Infrastruktur verifiziert werden. Beim Feldversuch wurde daher getestet, wie auf der Basis von 5G Broadcast zukünftig eine Overlay-Infrastruktur geschaffen werden kann, die sich zur gleichzeitigen Versorgung von Millionen künftiger 5G-Mobilgeräte eignet. Dabei sollen weder die regulären Mobilfunknetze belastet werden, noch zusätzliche Kosten für die Bürger entstehen.
Weiterhin sollten mögliche Entwicklungskonzepte und Laborprototypen im Bereich von Smartphones, sowie tragbaren und stationären Endgeräten untersucht werden.
Über die Rolle der Wirtschaft in der Kooperation konnten vor allem die ökonomischen Potenziale der Technologie und die Industrierelevanz von FeMBMS im praktischen Einsatz aufgezeigt werden.
Ein weiteres Ziel war es, die Standardisierung des FeMBMS-Systems bei 3GPP voranzutreiben und durch dieses Forschungsprojekt zu validieren. Nicht zuletzt beeinflussen die erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen auch Regulierungsbehörden und Standardisierungsgremien.
FKT: Wofür zeichnete Ihr Unternehmen bei 5G TODAY verantwortlich?
Für die 5G-Rundfunkübertragung wurden HPHT (High power high tower)-Sender von Rohde & Schwarz genutzt. Dafür wurden zwei Hochleistungssender mit 100 KW ERP an den Senderstandorten des Bayerischen Rundfunks in München-Ismaning und auf dem Wendelstein (Höhe 1838 m) installiert. Die beiden Testsender werden in einem Gleichwellennetz (SFN: Single Frequency Network) über Kanal 56/57 (750–760 MHz) betrieben. Darüber hinaus haben wir auch die für die Signalzuführung wesentliche zentrale Netzwerkkomponente entwickelt und bereitgestellt.
FKT: Zu welchen Befunden sind Sie gekommen?
Bei den Feldmessungen von 5G TODAY zeigte sich bereits, dass sich mit FeMBMS die Eigenschaften eines klassischen Rundfunkübertragungssystems erreichen lassen. Auf weiten Teilen des Empfangsgebiets ließ sich ein guter mobiler TV-Empfang realisieren. Diese Erkenntnisse bilden eine wichtige Grundlage für weitere Standardisierungsarbeiten beim Thema 5G Broadcast.
FKT: Welche Probleme sind aktuell noch zu lösen?
Wie bereits erwartet, sind Anteile des Signals, die zum Release 14 gegenüber herkömmlichen eMBMS nicht für großzelligen SFN-Betrieb optimiert wurden, teilweise störend für den Empfang. Genauso war der mobile Empfang bei hohen Geschwindigkeiten eingeschränkt. Beide Aspekte werden nun mit dem Release 16 von 3GPP adressiert und es ist davon auszugehen, dass sich damit die Empfangsqualität nochmal verbessert.
FKT: Das Testfeld soll auch nach Projektende weiter betrieben werden. Wie geht es nun mit 5G TODAY weiter?
Aufgrund des erst jungen Status von FeMBMS sind auch weiterhin detaillierte Untersuchungen zum Synchronisationsverhalten und der daraus resultierenden Versorgungsqualität nötig. Unter den Projektpartnern besteht daher Einigkeit, die mit 5G TODAY begonnenen Arbeiten fortzusetzen und das Testfeld noch über die geplante Projektdauer weiter zu betreiben.
FKT: Lineare TV-Verbreitung über Mobilfunk war bislang in Deutschland kein Thema, oftmals führten die Netzbetreiber hierfür fehlende Geschäftsmodelle an. Inwiefern könnte sich dies mit 5G Broadcast ändern?
Mit 5G Broadcast entsteht ein effizienter Verbreitungsweg, um mobile Nutzergruppen zu erreichen und sich diese mit hochqualitativen linearen und hybriden Diensten zu erschließen. 5G Broadcast auf mobilen Endgeräten, wie Smartphones und Tablets, ermöglicht die Kombination mit personalisierten und ortsbezogenen Diensten sowie neue Werbeformen, wie Targeted Advertising. Von zentraler Bedeutung für die Verbreitung von Rundfunkdiensten sind Kontrolle und Kosten. Kontrolle bezieht sich auf klassische Parameter wie Reichweite und Qualität, aber auch auf Zugang zu Verbreitungsoptionen. Die Kosten der Verbreitung müssen transparent, verlässlich und beherrschbar sein.
FKT: Welche neuen Optionen bieten sich den Netzbetreibern mit 5G Broadcast?
Um 5G für alle bereitzustellen, bedarf es hoher Investitionen, jedoch sind kaum zusätzliche Einnahmen zu erwarten. Medien bringen große, stark wachsende AV-Datenvolumina (4K, 8K, VR/AR/360 Grad) und lange Nutzungszeiten mit sich. 5G Broadcast erlaubt innovative, attraktive Mediendienste, z.B. durch die kostengünstige Kombination von klassischem linearen Fernsehen mit dem stark wachsenden Markt von damit verknüpften On-Demand-Services. Daneben lassen sich langfristig Investitionen in Sendetürme, Antennen und Zuleitungen schützen. Durch Off-Loading lassen sich große Datenmengen an viele gleiche Anwendergruppen verteilen im Gegensatz zu Unicast. Bei letzterem wird jedes Programm in jeder Zelle mehrfach gesendet, selbst wenn sich mehrere Nutzer in der gleichen Zelle befinden.
FKT: Welche Bedingungen muss 5G Broadcast künftig erfüllen – hinsichtlich Verfügbarkeit, aber auch hinsichtlich Verlässlichkeit?
Hier gelten meiner festen Überzeugung nach die gleichen Bedingungen wie beim klassischen Rundfunk. Der Nutzer erwartet eine hohe Quality of Experience, also hohe Verfügbarkeit und beste Videoqualität.
FKT: Rohde & Schwarz will mit dem Thema nun auf die Mobilfunkbetreiber zugehen. Welche Erwartungen verbinden Sie damit?
Wir wollen gezielt die Mobilfunknetzbetreiber ansprechen und sie von den Vorteilen überzeugen. Es gibt technische Grenzen für die Verbreitung von Videocontent in den derzeitigen Mobilfunknetzen, besonders was die Erlebnisqualität angeht. Mit 5G Broadcast können hohe Datenvolumina aus einem überlasteten Mobilfunknetz direkt an geeignete Endgeräte verteilt werden. Ein einziger TV-Sender kann eine Abdeckung von über 60 Kilometern Radius erreichen mit einem High power high tower-Overlay als Ergänzung zur bestehenden zellularen Netzwerktopologie. Dabei ist das Netzwerk extrem kosteneffizient und gleichzeitig bieten sie den Verbrauchern eine hohe Videoqualität, kurze Latenzzeiten und sicheres Live-Streaming vor allem bei Premium Sport-Events. Das Multicast-Konzept beansprucht nur einmal Netzwerkkapazität und erreicht dabei tausende von User im Downlink-Only-Mode. Das kann sich auch die Automotive-Branche zu Nutzen machen. Insbesondere relevante Daten für das autonome Fahren wie Softwareupdates, Verkehr, Wetter, Navigation, usw. spielen hier eine Rolle.
FKT: Ein Ausblick: Wie sieht die weitere Roadmap für eine Einführung von 5G Broadcast aus?
Der Durchbruch auf der Seite der Endgeräte steht noch aus. Sowohl die Chip- als auch die Smartphone-Hersteller sind derzeit noch in einer beobachtenden Position. Die entscheidende Frage ist, welcher Netzbetreiber sein bestehendes Geschäftsmodell auf diese neue und hocheffiziente Art der Flächenversorgung ausweitet und damit ein klares Signal in den sich verändernden Markt gibt.
Interview: Martin Braun