Neue Horizonte

Remote Production-Konzepte für kontinentalübergreifende Produktionen

FKT Magazin 3/2021
Live-Production
Remote Production
Production & Post
Riedel Communications GmbH & Co. KG

„In 80 Millisekunden um die Welt“: Gemeinsam mit internationalen Partnern hat Riedel Communi-
cations neue Produktionen etabliert, bei denen sämtliche Gewerke remote über Kontinente hinweg vernetzt arbeiteten. Wie dies gelang und was das Unternehmen künftig plant, erläutert Carsten Voßkühler, Project Manager bei Riedel Communications, im Gespräch mit FKT.

FKT: Herr Voßkühler, Riedel hat im Vorjahr einen neuen Remote-Mastering-Service aufgesetzt. Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich damit für Audioproduktionen?

Voßkühler: Der Remote-Mastering-Service ist in Zusammenarbeit mit Peter Brandt, Produzent und CEO von Remote Recording Network (RRN), entstanden. Unsere erste Überlegung war zunächst, Produktionen auf der kommunikativen Ebene mit einer Intercom zu unterstützen – und zwar ohne, dass die Beteiligten eine Intercom-Matrix an den einzelnen Schauplätzen benötigten. Vielmehr sollten sie vor Ort kleine Einheiten einsetzen, mit denen sie sich in unser Remote Operation Center (ROC) Wuppertal einwählen und eine zentrale Matrix nutzen. Das war der erste Schritt. Später hat Peter Brandt seine Partner in New York mit ins Spiel gebracht hat, wo teilweise das Mastering seiner Produktionen stattfindet. Hierbei haben wir uns um die Audio-Übertragung gekümmert.

FKT: Noch im ersten Lockdown hat Riedel das Konzept bei einem Streaming-Konzert von Peter Maffay adaptiert. Wie haben Sie produktionstechnisch umgesetzt?

Voßkühler: Das Live-Streaming-Konzert von Peter Maffay aus dem Steintor-Varietè in Halle hat Werner Schmidl vor Ort gemischt und Peter Brandt im Studio Boecker in Köln remote gemastert.
Beide Standorte waren über unser ROC in Wuppertal verbunden.

FKT: Später kamen das Musikfestival Wacken World Wide als „transatlantischer Remote Mastering Workflow“ und eine erste komplett dezentral produzierte Show hinzu…

Voßkühler: Das waren die nächsten Schritte. Den Ton für Wacken haben wir von der Live-Nation-Bühne in Hamburg an das Riedel-ROC in Wuppertal und von dort zum Mastering an Ronald Prent in die Valhalla-Studios in New York übertragen. Diese Mixed-Reality- Produktion wurde live an elf Millionen Fans des Heavy-Metal-Festivals weltweit gestreamt.

Alles mündete schließlich in dem großen Finale mit „In 80 Millisekunden um die Welt“ – ebenfalls von Peter Brandt initiiert. Ziel der Produktion in Bottrop war es, die Vernetzung aller Gewerke zu ermöglichen – sodass Lichtdesigner, Bildregie und Tontechniker remote arbeiten und ihre Steuersignale über unser ROC abwickeln können. So saß der Regisseur in Wien und der Lichtdesigner in München. Die Lichtoperatoren hatten ihr Lichtpult in Frankfurt, das wiederum gespiegelt in der Halle in Bottrop stand. Der FOH- und Broadcast-Ton wurde in Köln gemischt und die parallele Tonaufzeichnung in 5.1.4 aus den Valhalla Studios in New York gesteuert. Das TV-Skyline Skycenter in Mainz war Knotenpunkt für die Kamerasteuerung, Bildmischung und Stream-
Einspeisung, während die Qualitätskontrolle sowie Remote Audience Management von Berlin aus erfolgte.

FKT: Dieses Remote-Konzept gilt in Ihrem Haus auch als Blaupause für künftige Anwendungen in den verschiedensten Genres. Was ist hier denkbar?

Voßkühler: Kurzer Blick zurück: Der Startschuss für unsere Remote-Aktivitäten war vor zwei Jahren die Zusammenarbeit mit der Deutschen Fußball Liga – für die DFL verantworten wir seither den Schiedsrichterfunk der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga in 36 Stadien. Damals startete das ROC in einem temporären Aufbau, nach der ersten Spielzeit hat unser Remote Operations Center die heutigen Räume bezogen. Mit dem ROC bieten wir Unterstützung von Produktionen etwa im Motorsport-Bereich, teilweise sind das ganz klassischen IT-Anwendungen. Aktuell realisieren wir mit dem America’s Cup eine Produktion in Neuseeland und können uns bis in die Boote hinein in die Arbeit der Kollegen versetzen – Stichwort Remote Engineering. Wir haben also Zugriff auf das Equipment vor Ort.

FKT: Welche weiteren Remote-Projekte stehen in diesem Jahr an?

Voßkühler: Tatsächlich vernetzen wir heute zahlreiche
Projekte mit unserem ROC, das ist Teil des Konzeptes. Letztendlich entscheiden aber unsere Kunden, was sie remote umsetzen wollen. Themen, mit denen wir uns in diesem Jahr beschäftigen, sind beispielsweise (virtuelle) Festivals und Sportevents.

FKT: Eine Einschätzung: Hat die Pandemie zu einem Paradigmenwechsel hin zu Remote Production in der Branche gesorgt oder beschleunigt die aktuelle Situation nur einen sich ohnehin abzeichnenden Trend?

Voßkühler: Die Pandemie hat die Entwicklung tatsächlich enorm beschleunigt. Aber es gibt auch andere Gründe, die über kurz oder lang zu dieser Entwicklung geführt hätten – denkt man nur an Aspekte wie Umweltschutz und CO2-Belastung. Fakt ist: In der neuen Situation bündelt man das Wissen auf eine andere Art und Weise. Mit Blick auf den Audio-Bereich ist es ein klarer Vorteil für die Kollegen, wenn sie in ihren Studios, in ihren eigenen Räumlichkeiten mischen oder mastern können. Alle beteiligten Gewerke in der Branche haben jetzt die Chance, auch ein bisschen auszuprobieren, noch kreativer zu werden. Und wir arbeiten auf einer ganz anderen Ebene mit den kreativen Gewerken zusammen. Das eröffnet auch für uns einen neuen Horizont.

Herr Voßkühler, vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Martin Braun