Neues Zeitalter

Der Beginn einer wunderbaren Remote-Freundschaft

FKT Magazin 07/2020
Remote Production
IP Workflows
Production & Post
Lawo AG

Werkslieferkontrollen, Netzwerk- und Systemkonfigurationen, abgesetzte Produktionsplätze, Produktvorführungen, Schulungen, Updates: Unzählige Lawo-Mitarbeiter und -Kunden waren trotz Lockdown und Reisebeschränkungen unermüdlich im Einsatz, um alle Versprechen einzulösen, so manchen Termin zu retten oder den Betrieb schlicht aufrecht zu erhalten.

Bei vielen Rundfunkanstalten bricht ein neues Zeitalter an. Helmut Scholz vom Bayerischen Rundfunk beschreibt dies folgendermaßen: „Mit den Architekturen, die jetzt möglich sind, sind wir künftig schneller in der Lage, auf neue Anforderungen zu reagieren.“
Chronik einer eindrucksvollen Serie, die sich innerhalb von sechs Wochen abspielte und Sinn und Mehrwert von Lawos IP-Lösungen veranschaulicht…

1. Der Paukenschlag: Die erste virtuelle WLK

Anfang April 2020 erfuhr die Broadcast-Welt von der weltweit ersten virtuellen Werkslieferkontrolle (WLK) für den norwegischen Rundfunk NRK. Dabei wurden drei Lawo Power Core-Plattformen, von denen eine als zentraler Router und zwei für Next-Gen-Radioanwendungen in Selbstfahrerstudios eingesetzt werden, und ein mc²56 Mischpult abgenommen.
Die virtuelle WLK entstand aus der Idee heraus, dem Kunden auch in schwierigen Zeiten zur Seite zu stehen und dafür zu sorgen, dass das dringend benötigte Material fristgerecht geliefert werden konnte.
Die NRK-Mitarbeiter befanden sich daheim in Norwegen und Börje Brüggemann, der Projektleiter von Lawo, in seiner Wohnung in Frankreich. Nur Jürgen Sigrist, Lawos Systemingenieur und Programmierer, war während der dreitätigen WLK im Lawo-Hauptquartier in Rastatt, wo er die Anlage aufgebaut hatte.
Lawos Power Core-Geräte werden seit jeher mit VisTool bedient. Diese Software ist sowohl für die Steuerung als auch die Darstellung von Bedienvorgängen hervorragend geeignet.
Die einzig spannende Frage war daher: Wie sorgt man dafür, dass alle wichtigen Informationen während der WLK beim Kunden ankommen? Hierfür routete Jürgen Sigrist die drei VisTool-Stationen per Remote Desktop auf einen „Kommunikationsrechner“. Parallel dazu lief eine mxGUI-Instanz, d.h. eine Visualisierungs-Software, die das mc²56-Pult repräsentierte und dessen Steuerung erlaubte. Außerdem sahen die NRK-Kunden und Börje Brügemann die übrigen Gesprächsteilnehmer sowie die Bilder von zwei Webcams, um physische Zustandsänderungen verfolgen zu können: Leuchten von Tasten, Fader-Bewegungen usw.
Als Medium für die virtuelle Werksabnahme wurde GoToMeeting gewählt. Diese Software generiert Meeting-Nummern, dank derer selbst der Kommunikationsrechner (per Screen Share) an der Besprechung teilnehmen konnte. Um seine Anzeige mit allen Beteiligten teilen zu können, fungierte er als Moderator.
NRK hatte – wie auch bei einer physischen WLK– eine Check-Liste – mit allen Punkten vorbereitet, die getestet werden sollten. Diese stand auf MS Teams zur Verfügung und konnte von allen Gesprächsteilnehmern permanent eingesehen und vom Kunden abgehakt werden.
NRK verfügte bereits über ruby-Mixer, mit denen VisTool als „Frontend”“ angesteuert wurde – so bekamen die Kunden bei sich daheim weitere optische Rückmeldungen. Zum Prüfen der Audioschnittstellen wurde Sigrist gebeten, an die verlangten Buchsen einen Tongenerator anzuschließen. Auf dem Bildschirm konnte anhand der ausschlagenden Meter nachvollzogen werden, ob die Audiosignale tatsächlich ankamen. Um zu hören, was vor sich ging, hatte Sigrist im Testraum ein Mikrofon aufgestellt. Das erlaubte das Testen der Lautsprecher- und Kopfhörerausgänge sowie der Kommandofunktion (Talkback).
Brüggemann: „Theoretisch hätten wir auch bestimmte Ausgänge an den Kommunikationsrechner anschließen können, was ein separates Mikrofon überflüssig gemacht hätte. Aber als ‘Ohr’ im Testraum hat es seinen Zweck sehr gut erfüllt.“
Eine dedizierte Steuerverbindung von Norwegen nach Rastatt war nicht notwendig, weil die Kunden in VisTool bzw. mxGUI alle gewünschten Dinge anklicken konnten. Außerdem gaben sie Jürgen Sigrist Anweisungen zum Drücken oder Auslenken bestimmter Bedienelemente.
Ursprünglich war ein Besuch vom NRK in Rastatt durchaus geplant – aber zuletzt undenkbar. Da der Zeitplan für die fristgerechte Projektdurchführung wichtiger war, einigte man sich auf eine partnerschaftliche virtuelle WLK. „Der Unterschied zu einer physischen Abnahme war letztendlich verschwindend gering,“ freut sich Jürgen Sigrist.
Die erfolgreich abgenommenen Geräte wurden am 22. April nach Oslo verschickt. Der nächste Schritt ist jetzt die Installation der Geräte in Oslo durch den Kunden und die eventuelle Konfiguration weiterer Aspekte. Hierfür wird Jürgen Sigrist vermutlich von daheim aus per Remote zugeschaltet, weil davon auszugehen ist, dass man bis dahin noch nicht wiederreisen darf. Was wäre aus Sicht Brüggemanns und Sigrists notwendig, damit in Zukunft häufiger remote gearbeitet wird? Zunächst einmal die Bereitschaft dazu und andererseits die technische Peripherie.
Statt mehrere Bildsignale per Remote Desktop auf einem Bildschirm zu bündeln, gibt es eventuell eine Lösung, die das aus dem Stand kann und allen Teilnehmern zudem eine dynamische Gestaltungsmöglichkeit der Bildschirmdarstellung erlaubt. Weiter unten wird beschrieben, wie Lawo-Geräte hierzu beitragen können. Vorteile hat der Remote-Ansatz allemal, resümiert Börje Brüggemann: „Alle Beteiligten können ihre Zeit effizienter nutzen. Und es können Kosten gespart werden.“

2. Virtuelle Abnahme eines IP-Ü-Wagens für den RTBF

Fast zeitgleich mit der Werkslieferkontrolle für den NRK in Oslo fand die virtuelle Abnahme eines von zwei neuen IP-basierten Ü-Wagen für den RTBF (Belgien) statt. Auch sie war aus der Not heraus geboren, weil coronabedingt keine Reisen zwischen Belgien und Deutschland mehr möglich waren. Der Liefertermin Anfang April 2020 war aber fest zugesagt.
Deshalb schlugen Dirk Sykora von Lawo, Geert Thoelen von NEP Belgium und Matthias Hahn von Broadcast Solutions eine Remote-Abnahme und-Konfiguration über eine VPN-Verbindung mit dem Ü-Wagen vor. Die scheiterte letztlich daran, dass keine VPN-Leitung aufgebaut werden konnte.
Daher wurden bei Broadcast Solutions in Bingen fünf Computer aufgestellt, auf denen TeamViewer lief. Alle virtuellen Teilnehmer verfügten über einen eigenen TeamViewer-Zugang. „VPN wäre noch schneller gewesen, um die notwendigen Dateien gleich an den richtigen Orten einzufügen, aber wir haben es auch so geschafft,“ erklärt Dirk Sykora.
Hierfür musste ein dedizierter Rechner bereitgestellt werden, zu dem die Config-Dateien übertragen wurden. So konnte der erste von zwei identischen Ü-Wagen fristgerecht und vollumfänglich aus der Ferne konfiguriert und abgenommen werden.
Während dieser dreiwöchigen Phase fanden täglich um 13 Uhr Videokonferenzen mit dem RTBF, NEP Belgium, Broadcast Solutions und Lawo statt, wo die bereits erledigten und anstehenden Punkte besprochen wurden. So wurde sichergestellt, dass alle Parteien konsequent an einem Strang ziehen, was bei einem verstreut agierenden Team keineswegs selbstverständlich ist.
Die Remote-Abnahme wurde durch den Umstand ermöglicht, dass der Ü-Wagen komplett IP-basiert ist. Alle anderen Gewerke waren für die Konfiguratoren aus drei Ländern gut erreichbar.

3. NRK-Abnahme – die zweite

Die zweite Remote-WLK Mitte April 2020 war etwas einfacher als die Feuertaufe, weil diesmal „nur“ ein Lawo Nova73 HD-Router abgenommen werden musste. „Neu“ bei diesem virtuellen Remote-Projekt war die Steuerung des Routers mit Lawos Steuersystem VSM. Da weder Brüggemann noch Sigrist über ein VSM-System verfügten, wurde dafür gesorgt, dass Remco Bosshard, der zuständige VSM-Konfigurator, sein System in Amsterdam mit der Anlage in Rastatt verbinden konnte.
Für diese Abnahme gab es vier Austragungsorte: Rastatt, Amsterdam, Frankreich und Oslo, wo die NRK-Kunden aus dem Homeoffice zugeschaltet waren.
Hier erfolgte erstmals eine echte Remote-Steuerung: Remco Bosshards VSM-System musste auf dem Nova73 HD-Router in Rastatt vorführen, dass alle Programmierungen ordnungsgemäß funktionierten.
Jürgen Sigrist stand bei Bedarf als „Handlanger“ zur Verfügung, um bestimmte Signale den Kundenanweisungen entsprechend umzustecken.
Als wichtige zentrale Komponente war der neue Nova73 HD-Router für die News-Abteilung bestimmt und sollte nach Lieferung im Nachrichten-Schaltraum installiert werden. Im Hauptschaltraum von NRK befand sich bereits ein Nova73 HD, der ähnlich konfiguriert war und demnächst entsprechend aktualisiert wird.
Remco Bosshard war per VPN mit dem Nova73 HD in Rastatt verbunden. Je nachdem, was das Team – bestehend aus Kunden und Lawo-Mitarbeitern – sehen wollte, wurde mit GoToMeeting der Bildschirm von Sigrists Computer in Rastatt (mit beispielsweise mxGUI, R3LAY für RAVENNA oder einer Browserseite) bzw. Remcos Programmierrechner oder VSM-Server (mit VSM-Panels) in den Vordergrund geholt. Um schneller arbeiten zu können, war Bosshard parallel per TeamViewer mit Sigrists Rechner verbunden. So konnten noch mehr Aspekte simultan angezeigt werden.
„Wir konnten hin und her, wie wir wollten. Die Norweger haben sich in Rastatt eingeloggt und konnten mitschauen,“ verdeutlicht Börje Brüggemann.
Gleichzeitig konnten die NRK-Ingenieure von Norwegen aus Bosshards VSM-Server ansteuern, der seinerseits den Nova73 HD in Rastatt „lenkte“ – und sahen auf ihrem Bildschirm, was geschieht.
GoToMeeting erlaubt nicht nur das Teilen des Bildschirms, sondern auch das Steuern der Darstellung durch einen beliebigen Anwender. Auf dem Kommunikationsrechner befanden sich VSM-Panels, wo die Norweger die gewünschten Tasten drücken konnten, um die Funktionen zu prüfen und die Darstellung zu beurteilen.
Das war, laut Brüggemann, auch für die Norweger angenehmer: Selbst wenn der neue Nova73 HD in Oslo gestanden hätte, wäre das „Problem“ dasselbe gewesen, weil sie coronabedingt nicht alle gleichzeitig ins Funkhaus durften. Ferner hatte dank Remote-Abnahme jeder sein Arbeitsgerät genau dort, wo er es brauchte: Sigrist den Nova73 HD an seinem Arbeitsplatz zum Programmieren, Bosshard sein VSM-System nahe Amsterdam, wo er sofort Änderungen vornehmen konnte – und die Norweger konnten virtuell drücken und überwachen. Inklusive Ton: über die Peak-Meter im Panel sah man die Pegeländerungen mit einer vernachlässigbaren Latenz. Das VSM-System hat über die VPN-Strecke hervorragend funktioniert.
Sigrist hatte MADI-Tester und Tongeneratoren sowie einen Lautsprecher an den Nova73 HD angeschlossen, um das Ergebnis auch hörbar zu machen. Abgegriffen wurden die Audiosignale über das Headset-Mikrofon, das Sigrist für die Meetings benutzte. Diese WLK bezog sich auf die Nachrichtenkreuzschiene als Kern eines Gesamtsystems. Die gleiche Anlage (in Rastatt) wurde nach erfolgreicher Abnahme vorübergehend umkonfiguriert, um die neuen VSM-Funktionen auch für die MCR-Kreuzschiene beim NRK zu testen. Das war durch das Hochladen einer anderen Config in den Nova73 HD ein Kinderspiel. „Es lief dann zwar nicht alles, weil die Hardware leicht anders bestückt ist, aber im Groben konnte auch der Bereich getestet werden,“ erläutert Jürgen Sigrist.
Bosshard konnte trotz der Bestückungsunterschiede die neue VSM-Konfiguration für den Schaltraum (MCR) mit dem Nova73 HD in Rastatt vorführen. Diese zweite virtuelle NRK-Session dauerte zwei Tage, die Lieferung des Nova73 HD erfolgte gegen Ende April 2020.

4. Augen und Ohren beim WDR

Beim WDR wurde während der Pandemie eine Fernseh-Übertragungs- und Studioanlage konfiguriert, in der nahezu alle Lawo-Produkte vertreten sind: V_Matrix, C100, V_line, A_line, mc²56 und mc²36, Power Core RP, VisTool, ein von Henrik Halvorsen und Jörg Mittag entwickeltes und geliefertes Arista-Netzwerk (Management und Streaming), vm_dmv Multiviewer, VSM, theWALL und SMART. Die gesamte Anlage ist im WDR ein “Lawo-Inselnetzwerk”, zu dem ein Fernzugriff ermöglicht wurde. Die Werkslieferkontrolle der Anlage hatte in Anwesenheit aller Beteiligten in Rastatt stattgefunden. Die Lieferung war bereits nach Köln unterwegs, als die Lockdown-Bestimmungen europaweit zuschlugen. Also gab es zwei Möglichkeiten: Die Anlage zurückholen oder weiterarbeiten, obwohl sich schon abzeichnete, dass die Fußball-Europameisterschaft verschoben würde. Das geplante Inbetriebnahme-Team von Lawo konnte aufgrund von Corona nicht anwesend sein. Durch eine enge Zusammenarbeit im Projektverlauf mit dem WDR konnte die Anlage erfolgreich betriebsbereit konfiguriert werden.
Anthony Teunen in Belgien und Karlheinz Amberg in Baden-Baden kümmerten sich um dieses hochkomplexe und während der Europameisterschaft bis nach Amsterdam (IBC) und Herzogenaurach (Hauptquartier des DFB) verzweigte Projekt und standen per Skype im regen Austausch mit den WDR-Kollegen. In Köln wurde die Anlage anhand der gemeinsam erarbeiteten Pläne mit Remote-Unterstützung von Lawo durch die technischen Leiter des WDR installiert. Außer Kommunikations-Software wurden die Webcams in den vor Ort aufgestellten Bildschirmen genutzt für die Sichtprüfung der Programmierungen: Bildqualität, Multiviewer usw. „Vor Ort“ heißt im Falle des WDR, dass sich das Netzwerk über mehrere Gebäudetrakte erstreckt.
Neu im Vergleich zu den vorangehenden Remote-Projekten war die Verwendung zunächst eines V_remote4 (4 Kanäle) und später eines V_pro8 (8 Kanäle) als „Augen und Ohren“ für Amberg und Teunen. Beide Geräte bieten Audiometer, Thumbnails und eine HTML-GUI. Für ihre Arbeit brauchten Amberg und Teunen daher nur eine Person in Köln zu bitten, die benötigten Verbindungen herzustellen, um optimal arbeiten zu können. Hier zeichnet sich bereits ein Trend ab: Mit jedem weiteren Remote-Einsatz professionalisiert sich die verwendete Ausrüstung – und die Lawo-Geräte selbst können einen wichtigen Beitrag dazu leisten.
In jedem Raum befand sich eine VSM-Softpanel-Instanz (berührungsempfindliche Bildschirme), über welche per TeamViewer von Zoersel (Belgien) oder Baden-Baden aus die jeweils benötigte Webcam gewählt werden konnte. (Die V_remote4-Einheiten werden im Zusammenspiel mit VSM später für die Rückübertragung bestimmter Feeds zum Quartier der deutschen Mannschaft verwendet.)
Anthony Teunen konfigurierte außer VSM auch alle Videogeräte von Lawo, während sich Karlheinz Amberg um die Audiofunktionen kümmerte und seinen Aufgaben als Gesamtprojektleiter nachging. Malgorzata Witaszek bereitete in der Schweiz das SMART-System vor und gab von dort aus per Skype Schulungen für das Telemetriesystem, die sehr gut ankamen.
Die für den WDR (federführend für die ARD) vorbereitete Anlage wird die IBC-Feeds über ein Nimbra-System empfangen. In Köln sollen die Audiobearbeitungen, das Shuffling und Multiviewing für das europäische Fußballfest dann mit Lawo-Geräten erfolgen.
Die Verbindung zwischen Zoersel bzw. Baden-Baden und Köln lief über TeamViewer mit einem von Lawo speziell entwickelten System. Dieser Ansatz war zwar schon vor Corona beschlossen worden – allerdings nur für eventuell notwendigen Support. Erst nach Inkrafttreten des Lockdowns wurde das Anwendungsfeld auf die Remote-Konfiguration erweitert. VPN kam nicht zum Einsatz, weil viele Konfigurationen offline erstellt und erst danach auf die Anlage in Köln überspielt wurden. Die Anlage erlaubt den Audio-Stream-Austausch mit den Power Core-Einheiten und den mc²-Pulten – so können Radio und Fernsehen gleichzeitig beliefert werden. Die Stream-Verwaltung wird von VSM organisiert. Die Offline-Konfiguration ist sowohl für VSM als auch für V_matrix C100-Module möglich. Für die Zukunft wünscht sich Teunen eine Lösung, welche die Arbeit mit mehreren voneinander unabhängigen Bildschirmen erlaubt, um noch schneller arbeiten zu können. Zumindest ist die Arbeit bereits so weit gediehen, dass nur noch Designlayouts und abschließende Konfigurationsarbeiten mit Vor-Ort-Support durch Lawo vorgenommen werden müssen.

5. BR: Radio aus dem Homeoffice und von unterwegs

Helmut Scholz, Systemingenieur in der Fachgruppe Zentrale Audio- und Videotechnik in der Abteilung Mediensysteme beim Bayerischen Rundfunk, kennt Lawos Radiolösungen seit dem Diamond-System. Seit 20 Jahren digitalisiert und konfiguriert er inzwischen mit Lawo-Systemen. Er wirkt an zentraler Stelle und ist u. a. in den Schaltraum (MCR) für den BR-Neubau involviert, der auf ST2110 und AES67 basieren wird.
Nachdem auch die BR-Mitarbeiter vom einen Tag auf den anderen ins Homeoffice geschickt wurden, musste der Sendebetrieb von bis dahin ungewohnten Orten aus fortgeführt werden. Dabei wurde erstmals der Umstand genutzt, dass die im Hörfunk verwendeten Lawo-Komponenten seit jeher fernwartbar und zu 95 % betrieblich fernsteuerbar sind. Dies erlaubte es Scholz, bei sich daheim eine Remote-Betriebszentrale einzurichten, mit der die Schaltmeister, die z. T. noch – streng getrennt – vor Ort waren, unterstützt werden konnten. Heute ist Helmut Scholz in der Lage, den Support für die Hörfunkbetriebszentrale komplett vom Homeoffice aus zu lenken.
„Dort, wo die Möglichkeiten der Firma Lawo nicht ausreichen, habe ich eigene Entwicklungen gebaut, die quasi die letzten fünf Prozent abdecken,“ erläutert Scholz. Das bezieht sich vornehmlich auf die Fernwartung von Komponenten, die eigentlich nicht remote bedienbar sind. Die Betriebsmitarbeiter waren innerhalb kürzester Zeit so überzeugt vom System, dass sie sich nach der Möglichkeit erkundigten, vier Remote-Arbeitsplätze einzurichten. Mittlerweile können die Schaltmeister von zu Hause aus arbeiten.
Für die Sendungen wurde im ersten Schritt versucht, die Mitarbeiter räumlich voneinander zu trennen. Eine der ersten Maßnahmen war, die Morgensendung von Bayern 3 von einem Techniker im Studio zu fahren, während der Moderator von daheim aus arbeitete. Das Mikrofonsignal wird dabei über eine SIP-Verbindung (MuPro) ins Studio gestreamt.
Parallel dazu wurden Havariestudios eingerichtet, die bisher jedoch nicht benötigt wurden. Sie stehen für den Fall zur Verfügung, dass man ein Studio kurzfristig desinfizieren muss. Die Havariestudios wurden mit Remote-Möglichkeiten für die Studio-Fernsteuerung, darunter die RDS TA Bit-Signalisierung für Verkehrsfunkaufschaltungen, ausgestattet. Im Fall der Fälle kann das eigentliche Studio im Funkhaus komplett ferngesteuert werden.
Falls selbst die Remote-Steuerung des Studios noch zu risikobehaftet erscheint, wurde im dritten Schritt ein Ü-Wagen für den Remote-Betrieb vorbereitet, um von dort aus die komplette Sendung fahren zu können.
Hierbei handelt es sich um ein kleines SAT-Mobil, mit dem man Bayern 1 oder Bayern 3 fernsteuern kann: Das Studiomischpult kann über eine Lawo VisTool-Instanz und mehrere Codecs in beiden Richtungen gesteuert werden (Kommando, Rückprogramm, Mikrofone). Das Fahrzeug darf sich im Prinzip an gleich welchem Ort befinden – solange eine Netzwerkverbindung zur Verfügung steht.
Die Art der Netzwerkverbindung ist dabei unerheblich: Der Wagen ist mit einer VipriNet-Lösung für SIM-Karten und einem VSL-Anschluss ausgestattet. Damit kann jederzeit ein VPN-Tunnel zum Funkhaus aufgebaut werden. Über diese Verbindung laufen sowohl die Audioströme als auch die Steuerdaten. Bisher wurde der Ü-Wagen nicht eingesetzt. Aber, sagt Scholz: „Ich könnte mir gut vorstellen, dass dieses Fahrzeug nach der Pandemie geregelt zum Einsatz kommt – auch programmlich, um bestimmte Aktionen zu fahren.“
Der Ü-Wagen war zuvor ein Schnellreportagewagen mit einer Audio-Infrastruktur und Kommunikations-Einrichtungen. Die Remote-Steuerung des Funkhauses wurde erst in den vergangenen Wochen nachgerüstet.
Scholz vergleicht die neuen Lösungen beim BR mit dem Ansatz des schwedischen Rundfunks, wo die Technik im Funkhaus bereits seit längerem per Remote bedient wird.
Mit den beim BR verfügbaren Produktions-Tools ist es schon eine Weile möglich, von zu Hause aus live zu moderieren und per VPN in den BR zu gelangen. Nur wurde das bisher vom BR selten genutzt – erst die Corona-Krise hat das Interesse geweckt. Zumindest ist jetzt die Sorge genommen, dass eine Remote-Anlage instabil läuft: Dank Corona hat man gesehen, dass „Remote“ funktioniert und dass das Internet nicht „böse“ ist, wenn man mit VPN-Tunneln arbeitet.
Für „BR Heimat“, ein Kulturprogramm auf DAB wird der Remote-Ansatz jetzt ebenfalls genutzt: Entweder kommen die Gäste ins Funkhaus und der Moderator interviewt sie von daheim aus, oder die Gäste werden vor Ort mit dem Moderator im Funkhaus verbunden.
Auch das wurde vor der Pandemie nicht angewandt, weil man davon ausging, dass Zwei-Stunden-Gespräche nur die richtige Atmosphäre haben, wenn sich Gast und Moderator im selben Raum befinden. „Ich glaube, man lernt gerade viel dazu,“ resümiert Scholz. „Wir haben jedenfalls zeigen können, was geht und was möglich ist. Jetzt sind wir gespannt, was wir davon in den Regelbetrieb überführen werden.“

6. Virtuelle Vorführung eines mc²56 Mischpultes

Dass auch Produktvorführungen und Schulungen virtuell organisiert werden können, bewies Lawo-Mitarbeiter Frank Mosch Anfang Mai 2020. RTV Noord in Groningen (Niederlande) interessierte sich für die Funktionsweise eines Lawo mc²36 Mischpults und hatte beim Systemhaus D&MS eine Schulung gebucht, die wegen des Lockdowns hätte abgesagt werden müssen.
Da die Software und das Funktionsangebot des mc²36 mit jenen des mc²56 identisch sind, das Frank Mosch bei sich in Antwerpen betriebsfertig aufgebaut hatte, schlug er vor, ein mc²56 mit einem mc² Micro Core nach Groningen zu schicken und eine virtuelle –aber durch und durch interaktive– Vorführung zu organisieren. Der Kunde willigte ein. Zum terminierten Zeitpunkt wurde das mc²56 samt mc² Micro Core bei RTV Noord aufgebaut und über VPN ans Internet angeschlossen. Mit Hilfe der mxGUI-Software konnten die beiden mc²-Konsolen miteinander kommunizieren: Handlungen auf Frank Moschs Bedienoberfläche wurden vom mc²56 übernommen – und umgekehrt.
Die visuelle und akustische Kommunikation zwischen Mosch, RTV Noord und Remco van Kuilenburg von D&MS, der ebenfalls teilnahm, erfolgte über Google Hangouts. Hierfür wurden beim Kunden zwei Kameras aufgestellt, von denen eine das Mischpult filmte (erste Hangouts-Session) und die andere die beiden Personen beim Kunden (zweite Hangouts-Session) festhielt. Bei Mosch standen ebenfalls Webcams, welche die Hang-outs-Session komplettierten.
Mit diesem relativ einfachen Aufbau konnte Frank Mosch von Antwerpen aus alle Funktions- und Anwendungsbereiche des mc²56 in Groningen vorführen und (mündlich) Fragen beantworten. Derartige virtuelle Vorführungen sind mit vielen Lawo-Lösungen ohne weiteres möglich.

Ausblick

Durch Corona ist einiges in Bewegung geraten – auch Lawo hat durch die weltweit getroffenen Maßnahmen dazu gelernt. Lawos Lösungen können nicht nur Weltmeisterschaften und andere Spiele im Remote-Verfahren übertragen, sondern eignen sich auch trefflich für kundenorientierte Dienstleistungen: Werkslieferkontrollen, Konfigurationen, Vorführungen und den regulären Sendebetrieb aus dem Homeoffice bzw. aus einem kompakten Ü-Wagen. Spätestens seit April 2020 ist weltweit klar, dass der Remote-Betrieb bislang hier und da zu Unrecht unterschätzt wurde. Für die einen lassen sich damit erhebliche Kosteneinsparungen erzielen, für die anderen viel Zeit sparen. Allenthalben wurde entdeckt, dass die Qualität nicht unter einem Remote-Ansatz zu leiden braucht und dass die Kreativität beflügelt wird.
Selbstverständlich gibt es noch Luft nach oben – und bei Lawo denkt man schon über die nächsten Schritte nach. Die hier beschriebenen Anlagen bestehen schließlich nahezu komplett aus Lawo-Lösungen und bilden somit ein kontrolliertes und –wie sich herausgestellt hat– gut geöltes Umfeld. Jürgen Sigrist: „In einem gemischten Umfeld ist es wahrscheinlich etwas schwieriger.“ Börje Brüggemann kontert sofort: „Außer, wir kombinieren per VPN die benötigten Geräte unterschiedlicher Hersteller zu einem System. Sie brauchen sich nicht einmal in Rastatt zu befinden. Eventuell haben wir dann eine leicht höhere Latenz – aber zum Testen kann es immer noch ausreichen.“

Alles wird gut…