Völlig neue Perspektiven: TV-Produktion in 5G-Campusnetzen

FKT Magazin 5/2021
5G
Production
Broadcast Solutions GmbH

Hohe Bandbreiten, geringe Latenzen: Im neuen 5G-Campusnetz in Nauen bei Berlin erprobt Media Broadcast mit verschiedenen Tests, welche neue Anwendungsszenarien die fünfte Mobilfunkgeneration der Medienproduktion eröffnet. „Insbesondere geht es uns hierbei um die drahtlose Übertragung von Kamerasignalen“, sagt Daniel Wolbers, Leiter 5G Produktentwicklung bei Media Broadcast. FKT sprach mit ihm über die ersten Use Cases, über künftige Vorhaben und aktuelle Grenzen bei 5G.

FKT: Herr Wolbers, Media Broadcast hat im 5G-Campusnetz in Nauen bei Berlin erste Tests vorgenommen. Zu welchen Ergebnissen sind Sie hinsichtlich Übertragungsgeschwindigkeit und Latenz gekommen?

Wolbers: Mit den Ergebnissen unserer ersten Tests konnten wir unsere Erwartungen voll erfüllen. So ist es uns gelungen, Daten mit einer Geschwindigkeit bis zu ca. 1.000 Mbit/s über die Luftschnittstelle zu übertragen, und dies mit einer Latenz von ca. 2 ms. In späteren Anwendungen werden wir hier sicherlich noch genauere Ergebnisse erzielen sowie die Grenzen unserer aktuellen Installation in Nauen austesten.

FKT: Sie bereiten verschiedene Use Cases für den TV-Produktionsbereich vor. Was steht hier im Fokus?

Wolbers: Insbesondere geht es uns hierbei um die drahtlose Übertragung von Kamerasignalen. Wir haben hier einen völlig neuen Rahmen: Die Mobilfunktechnologie, mit der wir potentiell ganze Studios oder Sportarenen ausleuchten können, die hohe Bandbreite, die uns zur Verfügung steht sowie die Quality of Service eines dedizierten und in sich geschlossenen Netzes. Diese miteinander gepaarten Voraussetzungen ermöglichen nach unserer Einschätzung völlig neue Perspektiven und Erlebnisse für den TV-Zuschauer. Neben der Übertragung von drahtlosen Kamerasignalen ist es auch möglich, die technischen Produktionsabläufe zu vereinfachen bzw. abzusichern. Sei es bei der Steuerung eines Kamerakrans oder die Möglichkeit, abseits vom DECT-Standard die Wünsche der Regie an der Kamera oder am Licht umzusetzen.

FKT: Welche konkreten Tests sind dabei vorgesehen?

Wolbers: Als technischer Dienstleister der Medienbranche arbeiten wir eng mit Medienhäusern sowie Herstellerfirmen für Kameras etc. zusammen. Worüber wir aktuell nachdenken, verdeutlichen folgende Beispiele:

  • Eine Installation von zwei Kameras je Eckfahne auf dem Fußballfeld ermöglicht mit entsprechendem Rendern eine Abbildung des Fußballfeldes in 360 Grad Virtual Reality. So könnte sich der TV-Zuschauer künftig selbst aussuchen, aus welcher Perspektive das Spiel angeschaut wird. Ob im Tor neben Manuel Neuer oder aus der Schiedsrichterperspektive, vieles in denkbar.
  • Perspektiven, die von den Zuschauerrängen über Mobiltelefone aufgenommen werden oder die feiernden Menschenströme nach dem Sieg der Heimmannschaft zeigen.

All das sind Möglichkeiten, die bisher nur schwer technisch umzusetzen waren, sei es durch den „gesharten“ Charakter heutiger Technologien wie dem öffentlichen Mobilfunknetz, der Störanfälligkeit von WLAN oder schlichtweg das Glasfaser- bzw. Koaxialkabel zur Kamera. Umgesetzt haben wir bereits die Übertragung in einem 5G-Standalone-Campusumfeld mit professionellen Kameras, wir sind hier im Austausch mit Partnern und Herstellern und werden die Tests Zug-um-Zug ausweiten und weiterentwickeln.

FKT: Schaltzentrale des sogenannten Proof of Concept ist die 5G Blue Box. Aus welchen Komponenten besteht die Lösung?

Wolbers: Mit 5G Blue Box bezeichnen wir unser Produkt im 5G Campusumfeld. Unsere 5G Blue Box, die man sich auf unserer Website in einer Augmented Reality Animation anschauen kann, lässt sich daher individuell und auf die vom Kunden avisierten Use Cases bestücken. In unserem Proof of Concept nutzen wir das Open5GCore vom Fraunhofer Institut Fokus und im RAN zwei Basisstationen (Indoor und Outdoor) der Firma Huawei.

FKT: Das Rack bietet sich auch für „nomadische Anwendungen“ an. Was ist hier denkbar?

Wolbers: Genau das war unser Ansatz in der Produktentwicklung. Gerade im Eventbereich ist eine permanente Installation aus wirtschaftlichen Gründen schwer abzubilden. Hier kommen wir ins Spiel.

FKT: Welche weiteren konkreten Anwendungsszenarien werden Sie in den nächsten Monaten mit Unternehmen aus Mittelstand und Industrie unter die Lupe nehmen?

Wolbers: Sehr vielversprechend sind Anwendungsszenarien, die eine gesicherte Verbindung und kurze Latenzen benötigen. Eine Drohne, die sich ferngesteuert aus einer Betriebszentrale auf dem gesamten Campus bewegt, um wichtiges medizinisches Gerät von A nach B zu bringen, bei der Evakuierung durch Sicherheitsbehörden im Katastrophenfall oder hochgenaue Vermessungsarbeiten vornimmt, die Möglichkeiten sind vielfältig. Aktuelle Informationen zu unseren Use-Cases findet man immer auf unserer Website.

FKT: Bei den ersten Tests hat sich gezeigt, „dass 5G nicht das universelle Heilmittel aller Herausforderungen ist“. Wo sind aktuell Grenzen?

Wolbers: Die Grenzen liegen in der Physik. 100 MHz ist ein breites Spektrum, welches uns aktuell und kommerziell vermarktbar bei 5G-Campusnetzen zur Verfügung steht. Drahtgebundene Systeme abzulösen, um Rüstzeiten zu minimieren, wird jedoch nur in Teilen funktionieren. Der aktuelle Standard ermöglicht viel, auch viel Neues, aber eben nicht alles. Es wird hier zu Co-Existenzen von unterschiedlichen Technologien und Übertragungswegen kommen. Damit steigt jedoch auch die Komplexität. Um diese Herausforderungen zu lösen, hat sich Media Broadcast als Dienstleister für 5G Campusnetze positioniert. Abzuwarten bleibt zudem, was sich künftig im Millimeterwellenlängenbereich, z. B. bei 26 GHz, tun wird. Hier steht ein viel breiteres Spektrum zur Verfügung, bis dies einsatzfähig sein wird vergeht jedoch noch Zeit. Gegebenenfalls muss ich meine Aussage, „dass 5G nicht das universelle Heilmittel aller Herausforderungen ist“, dann noch mal überdenken.

FKT: Ein Ausblick: Wie wird sich die Produktionslandschaft in den kommenden Jahren mit Mobil-Technologien wie 5G – oder künftig auch 6G – verändern?

Wolbers: Es ist davon auszugehen, dass wir neue Perspektiven für den TV-Zuschauer sehen werden. Sei es die Froschperspektive beim Start eines Pferderennens, Kamerabilder von Zuschauern oder VR-Perspektiven des Spielfelds eines Sportevents. Neben neuen Inhalten gehen wir auch von vereinfachten Produktionsabläufen aus. Mit 5G lassen sich natürlich auch Daten, Kommandos und Ton übertragen. Ich bin gespannt, wann es so weit sein wird und freue mich sehr, dass wir bei Media Broadcast mit unserem Proof of Concept dazu beitragen können, derartige Use Cases zu entwickeln und zur Produktionsreife mit interessierten Partnern und Kunden zu bringen.

FKT: Herr Wolbers, vielen Dank für das Gespräch.